Zwangsvorstellung in Tüll und Seide

■ P.J. Hogans Komödie „Muriels Hochzeit“ benutzt Kitsch als Waffe gegen Konventionen

In der Vorstellung von heute rangiert die Idee vom „Mädchen-Sein“ weit vor dem, was es tatsächlich ist. Aus dem immergleichen Blickwinkel werden die girlies beäugt und vermessen, je nachdem als nette, dumme, schlaue oder zickige Sugar-Babies. So sind Mädchen. Und so wäre Muriel auch gerne. Geboren im Kleinstadt-Mief von Porpoise Spit, ist sie ein Opfer ihrer weiß-rosa Ideale, zu denen ihr Abba den Soundtrack liefert. Muriel weiß, der Fluch, Muriel zu sein, wird erst durch ihre Heirat gebannt werden. Eine ganz normale Zwangsvorstellung in Tüll und Seide, realisiert von dem Australier P.J. Hogan als filmische Bestleistung, die das Ziel jugendlicher Selbstverwirklichung an die Wirklichkeit zurückverweist.

So fliegt am Anfang ein Brautstrauß durchs Bild, Symbol der Ehe und Muriels Hoffnung. Welch ein Irrtum des Schicksals, daß ausgerechnet Muriel, der Männerschreck, ihn fängt. Das meinen zumindest ihre Freundinnen und fordern den Strauß zurück – Muriels Leid, Muriels Dilemma. Früher flüchteten Männer in den Filmen vor dem Horror des Establishments. Muriel hingegen ist von dem Wunsch der Normerfüllung förmlich besessen und darin fast ein Trash-Charakter, außergewöhnlich im Gewöhnlichen, ein hoffnungsloser Außenseiter. Typisch weiblich ist das natürlich nicht, jedenfalls konnten sich die Brüder von Hauptdarstellerin Toni Collette gut mit der trivialen Heldin identifizieren. Auch wenn dergleichen cineastische Identifikationsmuster durch ihren didaktischen Kammerton gestört sind, Muriels Hochzeit ist unvergeßlich, weil er kurz und knapp Humor und Kitsch als letzte Waffe gegen gesellschaftliche Konvention benutzt, ohne aus seinen authentischen Momenten einen Fetisch zu machen.

„Ich finde, es fehlen Filme über junge Erwachsene, die mehr sind als dieses eindimensionale Generation-X-Geschwätz“, sagt die Collette, und es klingt so, als sollte man schleunigst damit anfangen. Mit 22 Jahren ist sie in Australien jetzt berühmt, weil sie es gewagt hat, eine Jugendliche zu spielen, für die die Hölle eine watteweiche Wolke scheint, weil ihre Pubertät noch zehnmal schlimmer ist. Sie hat von Anfang an gewußt, daß sie die ideale Besetzung war für die Rolle des verstörten Mädchens, das beim Warten auf Prince Charming sich selbst begegnet. Und weil sie anscheinend immer recht hat, irrte sie sich auch darin nicht. Obwohl sie im Gegensatz zu Muriel ihre Aggressionen sehr präzise ausdrücken kann. Als 14jährige hat sie mal einen Jungen verprügelt, weil er ihren besten Freund beleidigt hat. Eine wütende Toni Collette ist eine schreiende, Türen schlagende Toni Collette. Und wie äußern sich ihre glückseligen Momente? „Ach“, meint die Collette, so ganz und gar nicht „girl“, „eigentlich genauso“.

Christa Thelen

Abaton, City, Streits