Der Schirm

■ Fanny Müller:

Ich muß ja nicht so früh raus wie andere. Deshalb stelle ich nachts die Klingel immer ab, weil ab sieben Uhr früh dauernd wer vor der Haustür steht und ausgerechnet bei mir auf die Tube drückt, obwohl wir schließlich 12 Mietparteien sind. Erst kommt das Hamburger Abendblatt, dann der Müll, dann die Post, dann die Paketpost...

Um die Klingel abstellen zu können, muß ich mit der Spitze des Regenschirms so einen kleinen Dubbas oben über der Wohnungstür nach rechts schubsen. Er sitzt direkt unter der Decke und anders komme ich da nicht ran.

Manchmal vergesse ich das Abstellen oder finde den Schirm nicht. Letzte Woche hatte ich ihn im Büro gelassen und prompt klingelt es. Nachts. Um vier Uhr.

Ich raus an die Tür und vorsichtig gefragt: „-?“

Sagt eine Stimme: „Keine Bange, ich will dich nicht zum SPD-Frühschoppen einladen.“ Es war gerade Vor-Wahlzeit in Hamburg. Meine Nachbarin aus dem 2. Stock! Ich öffne die Tür und da steht sie. Mit einem Herrensacko an, ansonsten barfuß bis zum Hals. Und hat eine Fahne. Und grinst wie nichts Gutes. Ich laß sie rein und gebe ihr einen alten Jogginganzug, bevor ich frage, was passiert ist.

Sie folgt mir in die Küche und setzt mich ins Bild. Sie hatte einen Herrn zu Besuch, den sie kurz vor vier wieder aus der Wohnung gelassen hat, wobei sie ihm zuvorkommenderweise das Treppenhauslicht – zwei Meter von ihrer Tür entfernt – anknipste. „Wieso ich so'n Service biete, weiß ich auch nich, ich muß ja komplett meschugge sein.“ Natürlich fällt die Tür ins Schloß. Und wo ist jetzt der Liebhaber? „Verduftet. Hat mir aber die Jacke dagelassen.“ Ich offeriere mein Sofa. Will sie aber nicht. Oben liegt noch eine Kippe auf dem Tellerrand und die Katze kriegt Depressionen, wenn sie nicht bald wieder da ist. Sie guckt mich an. Allmächtiger, ich weiß doch auch nicht, wie sie die Tür wieder aufkriegen soll. Vielleicht die Feuerwehr?

„Gott bewahre“, schreit sie, „wenn man einmal im Jahr vögelt, muß zur Strafe gleich die Feuerwehr kommen?? – Neeneenee!“ Dann vielleicht der Schlüsseldienst? Der Schlüsseldienst ist zu teuer. Sie hat eine bessere Idee. Sie wird in Frauen-WG's anrufen, da wissen einige total gut mit Dietrichen und so umzugehen. Ich begebe mich wieder in mein Bett, während sie etwa eine Dreiviertelstunde lang herumtelefoniert. (“Ey, kann ich ma Katja ham, das is dringend...“)

Die Expertinnen sind entweder nicht zu Hause, zu müde, wohnen sowieso in Bergedorf oder knallen den Hörer gleich wieder auf. Schließlich ruft sie doch beim Schlüsseldienst an und gegen halb sechs klingelt es. Sie marschiert mit dem Mann nach oben. Ich sinke in die Kissen zurück. Es klingelt.

„Kannst du mir ma 'n Fuffi leihn, die wollen Bares sehen. Vorher, wie im Puff.“

Den ganzen nächsten Tag sehe ich sie nicht. Schläft wohl aus. Ich melde mich auch krank. Nachts um halb drei geht die Klingel. Sie bringt den Fuffi zurück.

Ich hab jetzt einen Schirm gekauft, der ist n u r für die Klingel.