Gestählter Körperpanzer

■ Klaus Theweleit las über „Das Ich des soldatischen Mannes“

Im Rahmen der Vortragsreihe „Der totale Krieg und seine Krieger“ las Klaus Theweleit im Hamburger Institut für Sozialforschung, und die Räume platzten aus den Nähten. Es ist halt ein Ereignis, wenn der Freiburger – Literaturwissenschaftler?, subversive Großrechercheur?, psychoanalytisch geschulte Diskursvermenger? – wenn der Freiburger freie Wissenschaftler mit dem norddeutschen Akzent auftritt.

Denn Theweleit schreibt spannende Bücher – hochbrisante Fragestellungen, denen er differenziert nachgeht; eine Begrifflichkeit mit ganz eigenem Sound („...glüht am Kunst-Pol...“, „...Mühen der Wiedergeburt als ein anderes Ich...“); dicke Schwarten, überquellend von Texten und Bildern, prallvoll mit Materialien, Informationen und Anmerkungen. Bücher, die sich nicht so mir nichts, dir nichts auf ihre Ansätze reduzieren lassen.

Was sagt das schon? In Männerphantasien hat Theweleit anhand der Freikorps-Literatur die psychischen Deformationen nach dem Ersten Weltkrieg untersucht; im ersten Band des Buchs der Könige ging er der Verbindung von Künstler-Werdung und Frauenopfer nach; und im zweiten Band beschäftigt ihn die Frage, warum Gottfried Benn Nazi werden konnte. Theweleit ist ein Entdeckungsleser von Gnaden. Und vor die Alternative gestellt, entweder aufgrund der Fragestellung das Material zu reduzieren oder angesichts eines Eigenrecht beanspruchenden Materials die Fragestellung außer acht zu lassen, entscheidet er sich für letzteres.

Am Donnerstag abend griff Theweleit auf die Männerphantasien, Band 2 – Zur Psychoanalyse des Weißen Terrors aus den 70er Jahren zurück. Das war zwar ein bißchen schade, weil man gerne etwas über das neue Buch gehört hätte, aber es paßte eben zum Thema der Veranstaltungsreihe. Im Rahmen der Fragestellung machen Theweleits Untersuchungen darüber, wie das Ich des soldatischen Mannes produziert wird, vor allem eines klar: Das Thema des totalen Krieges läßt sich nicht isoliert betrachten. Die gesellschaftlichen Institutionen, die die nötigen psychischen Dispositionen und körperlichen Affekte durch Drill herstellen, müssen einbezogen werden.

Für Theweleit ist der Typus des gewaltbereiten Soldaten das Produkt einer nichtvollzogenen Individuation. Die Männer, aus denen Soldaten werden, sind noch nicht zu Ende geboren und stülpen sich das kollektive Groß-Ich der männlichen Institution Armee über. Dieser Umbau des Männerkörpers weg von der Mutter hin zum neuen fremden Leib eines überindividuellen Verbandes, der sich bei den Mitgliedern der Freikorps der 10er und 20er Jahre in den Kadettenanstalten vollzog, wird als Befreiung empfunden. Statt des eigenen verletzlichen Leibes verfügen sie jetzt über einen gestählten Körperpanzer, aus dessen Grenzen sie fortan aber auch nicht mehr herauskommen.

Was das für eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung ist, einen Krieg zu führen, macht Theweleits Material deutlich – und wie schwer es ist, diesen Weg wieder zu verlassen läßt sich schließen.

Dirk Knipphals