Totenmesse zur Zeit

■ Hamburger Erstaufführung von Hans Werner Henzes Requiem mit Markus Stenz

Wohl kaum ein zweiter Nachkriegs-Komponist deutscher Herkunft kann auf soviele offene Ohren zählen, wie der 1926 geborene Hans Werner Henze. Als Opernkomponist und Symphoniker zählt er zu den letzten großen Individualisten moderner Konzertmusik, die ihre Deutung der musikalischen Tradition mit der Notwendigkeit eines zeitgenössischen Hörbewußtseins verbinden. Allerdings zeigte Henze bisher nie eine besondere Affinität zur Kirchenmusik. Nun komponierte er aber 1992 ein Requiem für den 1990 verstorbenen Dirigenten-Freund Michael Viner.

Wer denkt da nicht zunächst an groß exponierte, den Kirchenraum ausfüllende Beschreibung katholischer Todesangst? Doch Henzes Requiem ist kein opulenter Chor/Orchester-Schinken mit kirchlichem Hintergrund. „Es gibt kein Jenseits in dieser Welt, es gibt nur die Präsenz: Engel und Teufel kann man auf der Straße treffen“, lautet Henzes humanistische Botschaft. Deswegen schrieb Henze neun geistliche Konzerte für Klavier solo, konzertierende Trompete und Kammerorchester.

Die neun mitunter symphonisch strukturierten Stücke sind nach den Teilen der katholischen Totenmesse benannt. Schon die einleitenden Takte des „Introitus“ ertasten den intimen Trauergestus dieses Requiems, das sich auf einer Ebene individueller Spiritualität bewegt. Externe Wut reflektieren die Schreckensbilder des „Dies irae“, „Rex tremendae“ und des „Tuba mirum“. Henze beleuchtet den Tag des Zorns mit aggressiven Blitzen und Marschfratzen, um dem Unheil seiner unmittelbaren Zeitgenossenschaft (Golfkrieg: 1991) schaurig-vertraute Kontur zu verleihen.

Markus Stenz gelang mit dem Ensemble Philharmonie im NDR-Studio 10 eine herausragende Interpretation, die sich auf enorm beseelte (Markus Höfs, Trompete) und technisch versierte (Till Alexander Körber, Klavier) Solisten verlassen konnte. Sven Ahnert