Die Angst des Riesen

■ HEW: Gestörtes Verhältnis zu Bürgern, Medien und Politik, aber keine Konzepte für Hamburgs Energie im dritten Jahrtausend Von Florian Marten

Eigentlich müßte es mächtig Spaß machen, am Steuerruder des hansestädtischen Energiemonopolisten Hamburgische Electricitätswerke (HEW) zu stehen. Kaum anderswo in der Republik sind die unternehmerischen Gestaltungsspielräume größer als in Hamburg: Die HEW sind nicht nur mehrheitlich im Besitz des Stadtstaates, sondern auch Stromerzeuger und Stromverkäufer in einem. Ein Monopol aus feinstem staatsmonopolkapitalistischen Guß: Genehmigung, Aufsicht, Stromerzeugung, Stromvertrieb, Stromverkauf und Leitungsnetz – alles fest in städtischer Hand.

Ganz anders als die Nachbarstaaten Niedersachsen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein verfügt auch die Landesregierung über energiepolitische Power. Bis auf ein bißchen Bundesaufsicht sowie ein bisserl Horror vor dem europäischen Binnenmarkt und vor dem großen norddeutschen Konkurrenten PreussenElektra (PreAG) ließe es sich hier in engstem Einvernehmen von Strommonopol und Politik ganz herrlich wirtschaften.

Die Realität sieht anders aus: In Rathaus, Umweltbehörde und HEW-Vorstand herrscht seit vielen Monaten eine kaum unterdrückte Nervosität. Nicht, daß es an Eintracht zwischen HEW und Rathaus mangelte – die grundlegenden energiepolitischen Fehler der Vergangenheit und eine erschreckende Konzeptionslosigkeit für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft sorgen für beständig schweißnasse Hände. Die HEW stehen vor einem unternehmenspolitischen Scherbenhaufen, dessen Ausmaß allein die Monopolgewinne verschleiern.

Mit tiefem Seufzen berichten Insider von jener wirtschaftlichen Katastrophe, an denen der Atomdampfer HEW 1993 und 1994 gerade nochmal vorbeigeschrammt ist: Die Stillstände der Atommeiler Brunsbüttel, Brokdorf und Stade führten zum Ausfall von teilweise mehr als 50 Prozent der eigenen Stromerzeugung, die bis zu 90 Prozent auf dem Prinzip kontrollierter Atomkernreaktionen beruht. Ein ökonomischer Beinahe-GAU schien programmiert: Während die Kosten für die teuren Meiler weiterliefen, mußten die HEW in ganz erheblichem Umfang Strom zukaufen, um ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen.

Das HEW-Management hatte ein geradezu schweinisches Glück: Es traf auf einen Energiemarkt, der seit dem Golfkrieg und dem Fall des eisernen Vorhangs völlig aus den Fugen ist und – begünstigt durch die europäische Rezession – die Preise auf dem Spotmarkt für Stromenergie auf historische Tiefstände sacken ließ. Für teilweise kaum mehr als 3 Pfennig konnten die HEW Kilowattstunden in rauhen Mengen einkaufen. Angesichts üblicher HEW-Strom-Selbsterzeugungskosten von 5 bis 8 Pfennigen (bei neueren AKWs unter Einbeziehung der Atommüllagerung sogar 12 bis 20 Pfennig) erwischte der Hamburger Energieriese einen glatten Sechser im Stromeinkaufslotto.

Nicht nur die Bilanz wurde verschont. Den HEW blieb auch eine öffentliche Diskussion über ihren wirtschaftlich riskanten Anlagenpark erspart. Die Existenzprobleme der HEW drängen jedoch weiter: Die gesamte HEW-Stromerzeugung, einst bedingungslos auf Atomstrom ausgerichtet, muß umgepolt werden. Die alte Absatzstrategie mit ihrer Kombination von Billigstrom für industrielle Großverbraucher und einer gnadenlosen Abschöpfung wehrloser Kleinverbraucher ist längst überholt. Auch die in wonnigen Filzzeiten aufgeblähte innere HEW-Struktur mit überzogenem Gehaltsniveau und abenteuerlichem Verwaltungswasserkopf wird das Jahr 2000 kaum unbeschadet überstehen. Das Ende des Atomzeitalters, die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte und die zwingende Notwendigkeit einer überfälligen, dienstleistungsorientierten Stromsparstrategie verlangen eine Radikalkur für das stadtstaatliche Energiemonopol.

Natürlich weiß auch das Management vom gefährlichen Reformstau. Und so wird mit hektischer Betriebsamkeit an vielen Schräubchen gedreht: Zusammen mit dem Betriebsrat planen die HEW die Vernichtung von 800 Arbeitsplätzen. Atomstromersatz soll Wasserkraft aus Norwegen und Island bringen. Die Landnahme in Ostdeutschland nährt die Hoffnung, sich eines Tages doch noch zu europatauglicher Größe aufzuschwingen. Das muntere Mitmischen im Müllverbrennungsgeschäft soll den Duft von trendiger Diversifizierung verströmen. Ein bunter Blumenstrauß fortschrittlicher Kleinstmaßnahmen schließlich, darunter Stromsparwerbung, Stromspargeschenke und ordentliche Abnahmepreise für privaten Solarstrom, will das lädierte Image verhübschen.

Der eifrige Aktionismus ist freilich kein Ersatz für eine echte Zukunftsstrategie. Kein Wunder – herrschen doch im Konzern die Geister der Vergangenheit, die sich gegen Anstöße von außen fast hermetisch abgeriegelt haben. Das beginnt bei einer Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, die bei Kritik und Nachfragen leicht hysterisch reagiert, zeigt sich bei einem Betriebsrat, der sich von der energiepolitischen Diskussion seiner Gewerkschaft völlig abgekoppelt hat, und gipfelt in einem technikdominierten HEW-Vorstand, für den Politiker Hanswürste, Umweltgruppen Fanatiker und Endverbraucher dumme Melkkühe darstellen.

Parallel dazu hat sich die Hamburger Umweltbehörde unter ihrem loyalen Voscherau-Gefährten Fritz Vahrenholt schon längst von einem eigenen energiepolitischen Kurs verabschiedet. Vahrenholt, dem nicht die Energiewende, sondern seine Karriere am Herzen liegt, gibt sich, getrieben von einer erstaunlicherweise noch immer energieethisch motivierten mittleren Beamtenebene seiner Behörde, mit Spielkram zufrieden: Spektakuläre Reisen nach Island und Norwegen und Solarstrombonus für die Galerie, herbe Attacken auf die sicherheitsbewußten AKW-Kontrolleure in den Nachbarländern und volle Rückendeckung für die Vorgaben des HEW-Managements im echten Tagesgeschäft.

Von der Politik weder gefordert noch kontrolliert oder gar geleitet, steuern die HEW sich selbst. Die Strategen der Atomkraftideologie sitzen fest im Sattel und hüten das Erbe ihres Fehlinvestments mit neurotischer Besessenheit. Zugleich quält ein tiefsitzender Minderwertigkeitskomplex ihre unternehmerische Psyche: Die HEW sind der kleinste der großen deutschen Energieerzeuger. Um im Kreis der sieben größeren Energieversorgungsunternehmen ernstgenommen zu werden, gebärden sich die HEW als Musterschüler: Sie verstehen sich zuvörderst als Energieerzeuger, dem High-Tech, Expansion und Rieseninvestitionen – wie die in AKWs – über alles geht.

An der Spitze des energiepolitischen Fortschritts in Deutschland stehen denn auch nicht die Großkonzerne, sondern jene kommunalen Stadtwerke, welche kaum Energie erzeugen, sondern vor allem den Strom der Multis an Endverbraucher verscherbeln. Angesichts der Marktmacht ihrer Lieferanten und der geringen Möglichkeiten kommunaler Energiepolitik sind die Gestaltungsspielräume dieser fortschrittlichen Energiedienstleister allerdings minimal. Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau, im Wissen um die Strategiedefizite der HEW und in Sorge, ein grün infizierter Senat könne eines Tages mit der energiepolitischen Wende ernst machen, verfügt denn auch schon längst über strategische Optionen, die einen endgültigen Ausstieg Hamburgs aus energiepolitischer Gestaltungspower ermöglichen.

Ansatzpunkt dazu ist die von Voscherau in hohem Maße mitverschuldete Finanznot der Stadt, die er Anfang der 90er Jahre durch eine beispiellose Ausgabenwut ins heutige Schuldenchaos manövrierte. Neben der Hamburgischen Landesbank bieten allein die städtischen Anteile an den HEW von 71,9 Prozent noch schnell veräußerbare Reserven mit Mehrmilliardenwert. Spätestens 1996 wird es nach Informationen der taz denn auch zu einem Verkauf von HEW-Aktien kommen. Als Käufer stehen die PreAG und schwedische Energiekonzerne bereits vor der Tür. Die PreAG würde für die Komplettierung ihres norddeutschen Stromerzeugungsmonopols wohl auch einen deutlich überhöhten Preis zahlen. Für EU-Neumitglied Schweden winkt der Einstieg in den Festlandsmarkt.

Das Ende der energiepolitischen Herrlichkeit Hamburgs zeichnet sich damit bereits ab. Strittig ist nur der Umfang des Machtverlustes. Einige MitarbeiterInnen der Umweltbehörde favorisieren – als sanfteste Variante – einen Einstieg der Schweden, verlangen aber, daß die Stadt 50 Prozent plus eine Aktie behält. Der Schweden-Deal, so die spitzbübische Hoffnung, würde die verhaßte PreAG mächtig ärgern. Freilich: Egal ob Schweden oder PreAG – schon beim Einstieg eines Großkonzerns unterhalb der Mehrheitsschwelle würde, realistisch betrachtet, der Einsteiger sofort die unternehmenspolitischen Leitlinien diktieren.

Mindestens ebenso wahrscheinlich ist jedoch, daß Hamburg seine Mehrheit der besseren Entlohnung wegen gleich ganz abgibt. Um einen letzten Rest Hamburger Eigenständigkeit vorzutäuschen, könnten die HEW dann eventuell auch aufgespalten werden: Die Stromerzeugung würde verkauft, die HEW verkäme zum bloßen Stromdealer.

Wie es der Zufall so will: Der heutige Stadtchef Henning Voscherau hat eben diese Idee bereits vor gut 10 Jahren schon einmal in die stadtpolitische Umlaufbahn geschossen. Damals allerdings noch ohne Erfolg.