: Gottes Besenritt durch die Stile
■ Alfred Schnittkes „Johann Fausten“ jetzt als CD-Einspielung erhältlich
Heute abend findet die wohl letzte Aufführung von Alfred Schnittkes Historia von D. Johann Fausten statt. Daß es für die Aufführung noch ausreichend Karten gibt, zeugt dafür, wie schwer es selbst in einer Millionenstadt ist, zeitgenössisches Opernwerk ans Volk zu bringen. Dabei wäre gerade diese Oper für tabulose Neugierige nun wirklich die Gelegenheit gewesen, das neue Musiktheater einmal von seiner gefälligsten Seite kennenzulernen. Denn der Komponist ist dafür bekannt, daß er die Musikgeschichte bis hin zur Popmusik räubert, und der Regisseur John Dew treibt sein Kitsch-Barometer gerne mit Farbenschlachten und Lektionen aus dem Musicalbetrieb bis an den Anschlag. Selbst das Libretto geht zurück auf Johann Spies' Volksbuch von 1587 und nicht auf den hehren Goethe.
Doch all das nützt nichts, die Bürger der Stadt wollen keine Mixturen. Das Musicalvolk geht ins Musical, das Wagnervolk in die entsprechenden Vorstellungen, die Jugendlichen mögen Popmusik nicht verkünstelt, der Rest geht zum Fußball und die treue Gemeinde moderner Musikliebhaber reicht eben nur für wenige Aufführungen solch ambitionierter Auftragswerke. Was also tun, um den Ruch der Oper als teures, dekadentes Großbürgervergnügen zu vertreiben, um die Hemmschwellen für einen Besuch zu senken?
Für all jene jedenfalls, die heute abend keine Gelegenheit haben, das letzte Werk des schwerkranken Komponisten zu besuchen, bleibt nur die Einspielung, die kürzlich bei BMG-Classics erschienen ist. Eine Woche nach der Uraufführung im Juni letzten Jahres hat Gerd Albrecht an drei Abenden diese Live-Einspielung dirigiert.
Und die Aufnahme transportiert auch ohne den drallen Inszenierungsbombast eines John Dew gut, was Schnittke – wohl auch unter dem Einfluß seines Sohnes – im späten Werk unter Polystilistik versteht. Da wechselt die Musik innerhalb weniger Takte die Bäumchen epochaler Stile, einem Bach-Zitat folgt eine an Mussorgsky erinnernde Chorpassage, die in einen abgenudelten Synthesizer-Teppich übergeht, auf den ein Spinett folgt. Schlager, Tango, Komponistenzitate, cremige Übergänge zwischen Jahrhunderten, große Bluffs, rühriger Schmelz, plakative Wechsel – Schnittke möchte die musikalische Weltgeschichte im zerschlagenen Spiegel bannen. Je nach Geschmack wird es da dem einen schlecht, während der andere neue Freiheiten bejubelt. Schnittkes Kunst besteht jedenfalls darin, seine Brüche in einem Guß wiederaufzufangen.
Textlich bleibt die christliche Propaganda des Original-Buches erhalten, wird nur zeitgemäßer anironisiert. Die kirchliche Moral der disziplinierten Unterwerfung ist aber durchaus ernst gemeint. Gott ist Schnittkes Ort, auch beim Besenritt durch die Musikgeschichte.
Till Briegleb
Aufführung: Heute abend, 19.30 Uhr (mit weitestgehender Premierenbesetzung), Hamburg Oper
Doppel-CD bei BMG Classics
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