„Die Leute können nicht weglassen“

■ Norbert und Anita Willems widmen sich seit 50 Jahren der immergleichen Frage:„Was ist guter Geschmack?“

1946 fing alles an. Familie Willems gründete aus den Trümmern einen kleinen Laden auf den Höfen, wo der erste Schrank noch aus den Latten eines Gartenzaunes selbst fabriziert wurde. 1962 übernahmen Norbert und seine als Inneneinrichterin ausgebildete Frau Anita den väterlichen Betrieb und führten ihn – für die damalige Zeit ungewöhnlich – gleichberechtigt. Heute hat sich das Konzept bewährt. Die Kinder arbeiten ebenfalls in der Firma – „Willems Wohnen“ ist noch ein solider Familienbetrieb. Bloß mit internationalem Sortiment und dem Anspruch, den guten Geschmack bedienen zu können. Der taz erzählte Norbert Willems alles über Stil, seine „Mission“ als Möbelverkäufer und die Farbe Orange.

taz: Ich versuche mir das vorzustellen: Sie haben ihr Geschäft vor 50 Jahren hier eröffnet, 1946. Können Sie sich noch an das erste Stück erinnern, das Sie verkauft haben?

Norbert Willems: Das erste Stück war ein uralter massiver Schrank, der aus dem Holz von einem Gartenzaun entstanden ist, und ich kann mich daran erinnern, wie mein Vater ihn verkauft hat, denn ich habe mit organisiert, also Leim, Holz und Beschläge zusammengesucht, um diesen Schrank bauen zu lassen.

Was kauften die Leute damals überhaupt?

Am Anfang kaufte jeder nur das, was wirklich gute Funktion hatte und Solidität versprach. Das waren eigentlich nur massive Dinge, einfachstes Handwerk. Und relativ früh haben wir diesen Gedanken gehabt – Design nennen wir ihn heute – wir haben damals gesagt: moderne Zeiten. Schon sehr früh haben wir Möbel aus Dänemark importiert, damals waren wir eins von zwei Häusern in Deutschland, die Wege nach Dänemark gefunden haben, das muß so 1950 gewesen sein. Neuer Stil in einer modernen und nicht traditionellen Welt, diese Mission hat das Unternehmen lange Jahre geprägt; wir sind als Innenarchitekten natürlich immer belastet von einem gewissen Sendungsbewußtsein, ein viel zu starkes Wort, aber lassen wir das mal so stehen.

Was war ihre „Mission“?

Eine neue Formensprache mit neu gefundenen Materialien wie zum Beispiel Kunststoff. Das erlaubte neue Herstellungsweisen, neue Linien und neues Design, das nicht nur im Bauhaus begründet war.

Sie haben vorher von dem ersten Schrank gesprochen, den ihr Vater gebaut hat. Wie verhält es sich denn bei diesem Einzelstück mit der Relation zwischen Ästhetik und Qualität?

Ja das ist ein gutes Beispiel, denn eigentlich macht es ja gar keinen Sinn, sich um Ästhetik zu kümmern. Denn ein Schrank ist ein Schrank, und wenn der funktioniert, dann ist das ein toller Schrank. Der Luxus, den die Ästhetik bedeutet, den können Sie fast nicht bewerten, das können Sie nicht in Zahlen ausdrücken.

Wie würden Sie ihre Kundschaft beschreiben?

Alle die, die den Mut haben, sich selbst auszudrücken. Und das hat nichts mit dem Einkommen zu tun. Es geht durch sämtliche Berufsschichten, Gesellschaftsschichten. Das Denken ist unabhängig vom Geld. Gerade Möbel, die ganz einfach gebaut sind, können einen hohen geistigen Inhalt haben. Das war auch unsere Sendung: keine klotzigen teuren Möbel, die aus der Tradition stammen und sehr teuer herzustellen sind. Also Stilmöbel zum Beispiel, das war für mich eine rotes Tuch, fürchterlich. Weil sie überlieferte Formen in einer Herstellungsweise kultivieren, die nicht mehr zeitgemäß ist. Das ist das neue Denken: schlichtere Möbel, die einfacher in der Herstellung sind, können auch zu einen stilvollen Resultat führen.

Ikea möbliert ja jetzt die Wohnstuben. Möbel werden aussortiert und nach einer Zeit einfach weggeworfen. Hat das Ihre Kundschaft verändert?

Nein, eigentlich nicht, Ikea hat die gleichen psychologischen Werbesprüche; in dem, was sie wollen, unterscheiden sie sich gar nicht von den anderen. Aber die Produkte in der Frühzeit waren Produkte, die man verbrauchte: von der Nutzung, von der Qualität und was das De-sign angeht. Und es gibt einfach Formen, die stellen ihre Zeit dar und sind auch noch 20 Jahre später gut, und es gibt Formen, die sind abgekupfert, das sieht man vielleicht nur mit geschultem Auge. Und insofern stört uns Ikea gar nicht. Im Gegenteil, ich sage allen unseren Kunden, wenn sie unsicher sind, dann sollen sie dahin gehen. Da merken sie was, nachdem sie dagewesen sind, nämlich was für einen Wert man um sich herum anschaffen kann.

Was ist der Trend im Moment?

Der Trend ist, daß es keinen Trend gibt. Das ist typisch für eine pluralistische Gesellschaft, weil alles zulässig ist. Jeder darf sich selbst so darstellen, wie er möchte, wenn er den Mut dazu hat.

Daß es Schwerpunkte gibt, in Hölzern, in Farben, das ist mehr eine Marktidee. Aber das gilt für die gehobene Einrichtung nicht. Da richten sich die Entscheidungen eher nach dem Alter desjenigen, der sich einrichtet. Man hat in seinem Leben ja unterschiedliche Reaktionen auf Farben.

Orange ist ja jetzt angesagt, wer kauft sich ein Sofa in Orange?

Leute, die die Welt verändern wollen.

Männer oder Frauen?

Bei Orange würde ich eher auf eine Frau tippen. Da gibt es eh große Unterschiede. Frauen beschäftigen sich mehr mit Farben und haben da auch eine bessere Reaktion, eine gefühltere Reaktion und Beurteilung.

Die Kundschaft, die bei Ihnen kauft, gibt viel Geld aus. Entscheiden die sich eigentlich selbst, oder kommen die mit einem Inneneinrichter?

Früher gab es mehr Leute, die mit dem Innenarchitekten kamen. Heute hat die Information die Leute selbstbewußter gemacht, das finde ich gut.

Was ist guter Geschmack?

Wie stark hat er sich mit dem Thema beschäftigt, wie stark kennt er sich selbst und hat den Mut sich zu offenbaren.

Das ist sehr viel.

Ja, die meisten Menschen brauchen dafür den Dialog. Aber je besser sich jemand kennt und das formulieren kann und auch seine Wünsche, seien sie noch so schizophren, äußert, desto eher kann ihm zu einer höchst originellen, geschmackvollen Einrichtung verholfen werden. Aber guten Geschmack als Postulat, das gibt es für mich nicht.

Dann ist der gute Geschmack der individuelle Geschmack.

Ja, aber da kann man 1000 Fehler machen.

Was ist der Standardfehler?

Die Leute stellen zu viel rein, sie können nicht weglassen.

Fragen: Susanne Raubold