Scharf wie ein Messer

■ Von der Straße ins Plattenstudio: Für Cribb 199, eine multinationale HipHop-Truppe, wird das Märchen vom Ausstieg aus dem Ghettoleben wahr / Jam & Diskussion in Findorff

Das war eine „coole Crowd“, neulich, beim Auftritt „in Oslebs“, sagt Aleem. „Im Knast“ nämlich. Die Jungs gingen gut mit, als Aleem und seine Freunde ihr „Kimse Karisamaz“ ins Mikro rappten: „Uns kann keiner was“. „Hört gut zu, was ich sage, es ist scharf wie ein Messer“, rattert der Rap zu feinen Saz-Klängen und fetten Baßbeats; „vergeßt nicht, daß wir alle mal Brüder waren.“ Wie wahr. „Komisches Gefühl“, sagt Aleem, so da oben auf der Bühne zu stehen – und unten eine Menge bekannten Gesichter zu entdecken.

Wenn Aleem, Aydin und Mike über ihre Brüder singen, über Freundschaft und über den Mist, der auf der Straße passiert, dann üben sie nicht eine aufgesetzte Gangsta-Pose Marke „MTV“. Die drei von „Cribb 199“ haben es erlebt: Wie ihre Kumpels von der Schule mußten, aus der Lehre flogen, auf der Straße landeten; wie sie Lust aufs schnelle Geld bekamen; wie leicht es war, in die entsprechenden „Geschäfte“ einzusteigen. Und wie schwer es war, zu widerstehen.

„Cribb 199“ verkörpern das, wovon zahllose junger Underdogs träumen. Sie stehen im Rampenlicht, sie werden umjubelt, sie haben Erfolg. Und jetzt machen sie sogar die Platte, die eine, von der sie immer geträumt haben. Bezahlt von einer Major Company: EMI-Elektrola bringt Cribb groß raus, im Tonstudio am Weserbahnhof werden derzeit die Nächte durchgemacht, in drei Wochen kommt die Maxi „Cribbtown“ raus, im Juni müssen 19 Songs für die CD fertig sein, dann kommt die Tour. Es klingt wie ein Märchen. Für Aleem, Aydin und Mike ist es harte Arbeit. „Keiner hat sich den Porsche bestellt“, sagt Produzent Vicente Celi. „Das Geld ist da, um eine gute Platte zu machen. Wenn die gute Platte da ist, wird damit Geld verdient.“

Das wäre dann das erste Mal, daß Geld verdient wird. Bisher haben die drei nur reingebuttert: Zeit, Geld und unglaubliche Energie. Mike, der Hüne, strahlt förmlich die gesammelte Beharrlichkeit aus, die die Cribb zum Ziel geführt hat. „Du mußt dein eigenes Ding durchziehen“ – ein Satz, der bei Cribb häufiger fällt.

Vor seinem Vater, der ihn aus Bosnien nach Deutschland schleppte, flieht Mike ins Heim. Das Heim wird geschlossen. Mike macht eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Anders als viele seiner Kumpels hält er durch. Dann plötzlich ein Bandscheibenvorfall: keine Zukunft mehr für Mike als Mechaniker. Auf die Umschulung kann er lange warten. In der Musik findet Mike neue Lebensenergie. Im Freizeitheim Findorff trifft er auf Gleichgesinnte: „Jeden Mittwoch war jeder aus jedem Stadtteil da“, sagt Aydin über die Anfänge der Bremer HipHop-Gemeinde. Breakdancer, Sprayer, Rapper, DJs, von Tenever bis Vegesack. Mike mittendrin.

Und Mike ist ein klasse Rapper. Eine Autorität – „der Rap-Vater von Bremen“, sagen die Freunde heute. Denn Mike kapiert ziemlich bald, daß HipHop-Musik für ihn und die Cribb-Familie mehr sein kann als nur eine prima Party. Warum denn immer englisch rappen? Warum nur über Gute-Laune-Themen, über Spaß und Mädchen und HipHop? Warum soll Mike, der Bosnier, nicht auf bosnisch rappen? Aleem und Aydin nicht auf türkisch? Und zwar über das, was außerhalb der Parties läuft – wenn die Jungs zwischen öden Jobs und schnellen Geschäften zerrieben werden. „Bleibt Euch treu und findet den richtigen Weg/ Und kämpft mit dem Teufel in Euch/ Uns kann keiner was/ Unsere Brüder stehen hinter uns.“

„Alles in allen Sprachen singen“ – dieser Anspruch bestimmt auch, wie die Musik spielt. Die schweren Tanzrhythmen des HipHop mit den zerbrechlichen Melodien ihrer Heimat zu verbinden – das ist inwischen zum Markensound der Cribb geworden. Mit den Kopfgeburten der kommerziellen „Weltmusik“ hat dies nichts zu tun: Das Authentische, das anderswo mühsam konstruiert wird – hier wird es wirklich eingelöst. Und das ist, was die Kids im Freizi begeistert, ebenso wie die coole Crowd im Knast und zuletzt die Talentscouts bei der EMI. „Den straighten HipHoppern, die zu unseren Jams kommen, ist das meistens nicht hart genug“, sagt Aydin; „aber wir haben eine andere Message“ – „vergeßt nicht, daß wir alle mal Brüder waren.“

Bis vor einem halben Jahr war die „Cribb“ noch ein Quartett. Sänger Igor wollte endlich den Ausstieg schaffen: keine „Geschäfte“ mehr. Er hängte sich rein, textete, rappte. Ein erster Plattenvertrag bahnte sich an. Die türkische „Sony“-Filiale zeigte sich verhalten interessiert. Der Deal platzte. Aleem, Aydin und Mike machten weiter. Igor ist nicht mehr dabei. Beim Konzert in Oslebshausen sahen sie sich wieder. Igor sitzt in Untersuchungshaft. Er soll wegen mehrfachen Raubüberfalls angeklagt werden.

„Sie sind Grenzgänger“, sagt Vicente Celi über die Cribb-Posse. „Läuft was schief, gibt es genug Leute, die einen in die Geschäfte einführen könnten.“ Aber genau das sei die Stärke von Mike, Aleem und Aydin – „zu sagen: Nein, wir gehen den anderen Weg.“

Damit scheint Cribb nun am Ziel aller Rapper-Träume angelangt zu sein. Grund zum feiern. Aber Aleem, Mike und Aydin bleiben auf dem Teppich. Seinen Lebensunterhalt nur mit Musik zu verdienen? „Klar, das wär' doch cool“, sagt Aleem. „Aber man kann nicht nur auf die Musik hoffen.“ Der heiß ersehnte Vertrag mit dem Major-Label gilt ohnedies nur für eine einzige Platte, „mit der Option für zwei weitere“ – ein vages Versprechen, wissen alle Beteiligten. Wenn die Nachtschicht im Tonstudio vorbei ist, fährt Aydin zur Arbeit. Und Mike zur Schule. Endlich kann er die Umschulung zum Industriekaufmann machen. Nochmal zwei Jahre abbuckeln. Er zuckt nicht mal mit den Schultern.

Thomas Wolff

Am Samstag im Freizeitheim Findorff (Neukirchstr. 23a): Hip-Hop-Jam mit Cribb 199, Asiatic Warriors u.a. (20 Uhr); Diskussion „Fremde im eigenen Land“ (15 Uhr)