Sanssouci: Nachschlag
■ Lesung von Michael Wildenhains "RAF"-Stück im BE
„Für den Mob ist alles einfach“, singen die Bremer Stadtmusikanten. Als Figur einer Wanduhr, in einem kurzen Zitat während eines Monologes. Auf der Bühne hätte die eingeschworene Vierercrew keinen Platz. Dort stehen zwar auch Gruppen, aber keine von ihnen würde es fertigbringen, sich solidarisch übereinanderzuschichten, im Kampf für ein klares Ziel. Obwohl sie fest daran glauben, genau das zu tun.
Aufsicht nach 20 Jahren: Michael Wildenhain, hyperproduktiver Theaterautor, Lyriker und Erzähler aus der autonomen Kreuzberg-Generation der Achtziger, hat einen Theatertext über die geschrieben, welche zwar nicht Väter und Mütter der aktionistischen Häuserkämpfer waren, aber doch zumindest Onkel und Tanten – die RAF. Das gleichnamige Stück wurde am Donnerstag in einer Veranstaltung anläßlich des 20. Todestages von Ulrike Meinhof im BE auszugsweise gelesen. Entstanden ist es im Rahmen der noch von Heiner Müller initiierten Autorenwerkstatt, die dem Haus am Schiffbauerdamm aktuelle Spielvorlagen liefern soll und gleichzeitig den Autoren eine Arbeit in einem (auch finanziell) geschützten Rahmen ermöglicht.
Wildenhain schneidet seine Gruppen gegeneinander. Da sind das „Kommando“ und die „Unterstützer“, allesamt fiktive Personen. Als quasi historisches Bindeglied setzt er den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ins Volksgefängnis. Allerdings ohne daraus groß dramaturgisches Kapital zu schlagen. Die Konfrontation zwischen Entführern und Entführtem interessiert nur am Rande, wichtiger ist der uralte Diskurs zwischen dem Wert der Sache und dem Wert des Individuums. Dazu bedient sich der Autor eines schwerverletzten Terroristen, der mit Schleyer die Zelle teilt. Ob er, der den Fortgang hemmt, liquidiert werden soll oder nicht, ist der Strang der Kommando- ebene. Die Unterstützer stochern parallel in ihren individuell- politischen Beweggründen und dem Verhältnis zur Elterngeneration herum. Und damit ist Schluß. Michael Wildenhain sucht keine Lösungen. Skeptisch läßt er seine Figuren herumrudern, läßt sie mit ihren Ansprüchen kämpfen, die sie allesamt nicht erfüllen können.
„Kampf ist ein Ausdruck mit einem Geschmack“, sagt ganz am Anfang einer der Unterstützer. Inhalte sind nicht mehr der Diskussionsgegenstand. Weder der Autor noch die Figuren lassen sich darauf ein. Bleibt eine kühle Analyse von Gruppenverhalten und Handlungsmustern aus einer historischen Distanz heraus. Ohne Wut, ohne Trauer und ohne falsche Heiligenscheine. Gerd Hartmann
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