: Berlin braucht Parkplätze für Velos
■ Über 80.000 Stellplätze werden allein vor U- und S-Bahnhöfen benötigt. In Berlin gibt es insgesamt nur 10.500, davon ist ein Drittel unbrauchbar. 1995 wurden in der Hauptstadt 29.970 Fahrräder gestohlen
Des Fahrrads bester Freund ist der Berliner wahrlich nicht: Rein statistisch werden nur 6 Prozent der zurückgelegten Wege hierzulande mit dem Fahrrad bestritten. Der Durchschnitt bundesweit liegt gut beim Doppelten. In Bremen, Münster und ähnlichen Fahrradhochburgen liegt der Anteil gar zwischen 20 und 35 Prozent. Das hat seinen guten Grund, möchte man meinen, doch so unattraktiv, wie landläufig vermutet, ist Berlin als Fahrradstadt – zumindest theoretisch – eigentlich gar nicht. „Gerade wegen der vielen kleinen Bezirkszentren reicht für die meisten Erledigungen eigentlich das Fahrrad, weil die Wege dabei meist unter sechs bis acht Kilometer liegen“, weiß Benno Koch vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Berlin. Lange Strecken sind in Berlin meist nur in Kombination mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu meistern. Doch gerade in den Stoßzeiten heißt es für Drahtesel in der U-Bahn: Wir müssen leider draußen bleiben. Die Velos nähmen im Gedränge zu viel Raum ein und verzögerten das Ein- und Aussteigen, argumentiert die BVG. Läßt man das vermeintliche Ungetüm statt dessen gleich am U- Bahnhof stehen, so kann man eigentlich fast sicher sein, daß es früher oder später geplündert wird oder gleich von der Bildfläche verschwindet. „29.970 Fahrräder wurden im vergangenen Jahr in Berlin geklaut“, weiß Kriminalhauptkommissar Peter Obst vom Landeskriminalamt, wobei es keine genauen Zahlen darüber gibt, wie viele Fahrräder direkt vor S- oder U-Bahn-Stationen abhanden gekommen sind. „Man kann jedoch davon ausgehen, daß Fahrradabstellanlagen Zentren derartiger Aktivitäten sind“, erläutert Obst.
Von der BVG selbst ist dabei an Aktivitäten nicht allzuviel zu erwarten: „Es ist nicht unsere Aufgabe, das Fahrradfahren in Berlin attraktiv zu machen“, sagt BVG- Pressesprecher Klaus Wazlak. Möglich wäre dies etwa durch angehängte Waggons speziell für Fahrräder sowie verbesserte und sicherere Abstellmöglichkeiten vor den U-Bahnhöfen. Als Begründung für die Zurückhaltung müssen in beiden Fällen die maroden Finanzen der BVG herhalten. „Das alles ist zwar vorstellbar, aber die BVG ist dazu alleine nicht in der Lage“, sagt Wazlak und verweist dabei auch auf die Zuständigkeit der Bezirksämter.
Diese hatten sich bereits Anfang der Neunziger den Luxus geleistet, einige sogenannte „Kreuzberger Bügel“ vor den U-Bahnhöfen aufzustellen – eine Art Anlehnrahmen aus Stahlrohren, der es erlaubt, das Fahrrad auch mit den Rahmen anzuschließen. „Weil herkömmliche Fahrradständer nicht sicher sind, da nur das Vorderrad angeschlossen werden kann. Außerdem verbiegen die Dinger die Felgen“, sagt Benno Koch von ADFC.
Bislang gibt es in ganz Berlin allerdings lediglich 10.500 Abstellplätze, wovon gut ein Drittel rein vom Zustand nicht mehr zu gebrauchen ist. Weitere 3.050 neue Plätze wurden zum letzten Mal Anfang 1995 vom Senat genehmigt und größtenteils in den verschiedenen Bezirken bereits eingerichtet. „Das ist aber lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein“, moniert Bernhard Steinmeyer von der gemeinnützigen Gesellschaft für Umwelttechnik und Berufsperspektiven Atlantis. Seine Rechnung sieht bei 1,4 Millionen täglichen U-Bahnfahrgästen und 0,8 Millionen S-Bahn-Benutzern einen Bedarf von mindestens 80.000 Abstellplätzen vor den Bahnhöfen vor – bei einem hypothetisch angenommen Fahrradnutzeranteil von vier Prozent.
Fast schon unnötig luxuriös erscheint dabei auf den ersten Blick eine Neuentwicklung von Atlantis: das „Radhaus“, eine abschließbare, verzinkte Stahlblechkonstruktion, bei der 12 Fahrräder an einem unter dem Dach befestigtem Drehkranz aufgehängt werden können. Solarzellen auf dem Dach versorgen eine Batterie, die nachts die eingebaute Beleuchtung versorgt. Kostenpunkt des Drahteselhäuschens: 12.700 Mark pro Stück. Erstmals vor einem Jahr wurde ein Prototyp von der Atlantis-Crew auf dem Innenhof der Kreuzberger Rathauses ausgestellt. Doch das erhoffte EU-Förderprogramm bliebt aus. „Das Radhaus wäre vor allem für Langzeitparker geeignet, wie etwa beim Berufspendelverkehr“, so Koch.
Bereits seit Ende der Achtziger wurden in Hamburg Radhäuser installiert. Heute gibt es dort davon über 300. „Das konnte dort allerdings nur über den Druck der Gewerkschaften durchgesetzt werden, weil die Produktion meist über ABM-Stellen bewerkstelligt wird“, verrät Steinmeyer. Mit 6.000 Mark wird heute ein Radhaus vom Hamburger Senat gefördert. Der Restbetrag wird über eine monatliche Miete von um die 15 Mark für die Nutzung abgedeckt.
Für Berlin sieht Steinmeyer allerdings derzeit keine großen Chancen für das Fahrradprojekt, weil die Tiefbauämter und der Senat für unmotorisierte Zweiräder generell wenig über hätten: „Zwischen 10 und 15 Millionen Mark wurden in den vergangen Jahren jeweils für den Fahrradverkehr lockergemacht. Im Straßenbau werden hingegen Milliarden verpulvert“, ärgert sich Steinmeyer. Alleine ein einziger neugeschaffener Autoparkplatz schlage heutzutage mit 35.000 Mark zu Buche. Und selbst die BVG stecke Unsummen in opulent konstruierte Bahnhöfe oder verplempere bares Geld durch fehlende Busspuren, was Betriebszeiten und Personaleinsatz erhöhe und im Jahr ebenfalls Millionen verschlinge.
Aber nicht nur die für den Fahrradverkehr zu Verfügung gestellten Summen an sich seien äußerst fragwürdig, sondern auch „die Ideologie, die dahintersteckt“, so Steinmeyer weiter. „Es geht ja meistens nur darum, den Autoverkehr zu verflüssigen, indem man das Straßennetz instand hält oder ausbaut. Und bei Fahrrädern soll am besten alles umsonst sein.“ Und Benno Koch vermutet: „Vielleicht kommt es daher, daß Fahrradfahren in Berlin an sich sonderlich nicht ernst genommen wird. Es wird wahrscheinlich zu sehr als reiner Freizeitspaß oder als Übergangslösung betrachtet, statt als tägliche Alternative zum Autoverkehr.“ Thomas Enslein
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