Hilfreiche Hirten

■ Der Verein „Freunde der Erziehungskunst Steiners“ betreut mehr als 2.000 Waldorfeinrichtungen in aller Welt

Es muß nicht immer das holzgedeckte Haus mit den schrägen Winkeln und der farblich abgestimmten Innenraumausstattung sein. Waldorf-Pädagogik funktioniert notfalls auch in einer Garage – so das Vorstandsmitglied der „Freunde der Erziehungskunst“, Bernd Ruf. Wenn die kindliche Seele nach dem Steinerschen Modell wachsen solle, sei nicht das finanzielle Polster, sondern das Engagement der Initiatoren entscheidend. Beweis sind weltweit 640 Schulen, zirka 1.200 Kindergärten, etwa 300 Einrichtungen zur Behindertenbetreuung und 60 Seminarstätten für die Lehrerausbildung. Viele davon arbeiten auch in Entwicklungsländern oder Krisenregionen. Da spielen die Kids aus den Favelas von São Paulo die hilfreichen Hirten beim Krippenspiel, die Kinder aus den Wellblechhütten südafrikanischer Townships experimentieren mit Wasserfarben, und der ehemals sozialistisch erzogene Nachwuchs in Estland oder Rußland übt sich in Eurhytmie. Die meisten Einrichtungen gibt es aber noch in den Industriestaaten.

Ursprung jedes Projekts ist eine Initiave vor Ort: Eltern, die sich von der Ausbildung ihrer Kinder mehr erhoffen als dumpfes Pauken der Kulturtechniken – Lehrer, denen ihr sozialistisches Bildungsgut zur Last geworden ist und die mit der Steinerschen Menschenlehre ihren Horizont zu erweitern hoffen. „Wir machen hier keinen Kulturimperialismus“, betont Vorstandsmitglied Bernd Ruf. Der Wunsch nach der persönlichkeitsfördernden Ausbildung käme ohne vorherige Missionsätigkeit der deutschen Waldorf-Kerntruppe zustande.

1995 umfaßte das Budget der „Freunde“ 6,6 Millionen Mark, die bisherige Rekordsumme. Löwenanteil der Gelder kommt von privaten Spendern, der Rest stammt aus staatlichen Fördertöpfen. So wurden 1994 unter anderem ein Heim für Behinderte in Rumänien und zwei Ausbildungsstätten für Waldorflehrer in Südafrika mit insgesamt 900.000 Mark vom Entwicklungshilfeministerium gefördert. Horst Tantz, Referatsleiter für private Träger, bescheinigt den Anthroposophen gute Noten für ihre Arbeit: „Die Gelder kommen den Ärmsten der Region zugute und erfüllen damit die Kriterien für unsere Förderbedingungen.“ Weltanschauliche Fragen und Erziehungsinhalte seien demgegenüber zweitrangig.

Die „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ verstehen sich als ideelle Unterstützer des internationalen Nachwuchses. Sie schicken ihre Leute auf Vortrags- und Seminarreisen und bieten bei pädagogischen, aber auch rechtlichen Fragen kompetente Beratung an.

Seit fünf Jahren gibt es enge Kontakte der „Freunde der Erziehungskunst“ zur Unesco. Dieser der Bildung und Wissenschaft gewidmetet Arm der UNO hat bereits einige Waldorfschulen in sein Projektschulnetz integriert. Jüngstes Kind dieser Zusammenarbeit: ein Lehrerfortbildungsseminar in Georgien.

Seit Mauerfall und Perestroika zieht es die Geisteslehrer verstärkt gen Osten. 30 Waldorfschulen zählt Bernd Ruf allein in Rußland. Er selbst betreut derzeit die Lehrerfortbildung in Bukarest. Bereits heute arbeiten hier 35 Waldorfklassen, die örtlich in normale Staatsschulen integriert sind.

Wahlmöglichkeiten bei der Bildung heißt für die ehemaligen Ostblockstaaten ein Stück mehr Demokratie. Nach Ansicht von Unesco-Koordinatorin Maja Oelschlägel ist das rasante Wachstum der östlichen Fangemeinde aber auch eine Folge der Strukturkrise dieser Länder: „Bei den Waldorfschulen wissen die Eltern wenigstens, daß der Unterricht wirklich stattfindet.“ Jantje Hannover