Zwei Welten einmal vereint

■ Die Mitwirkung der Eltern gehört zur Steinerschen Schule einfach dazu. Manchmal führt das zu mühsamen Konflikten

Sie sind schon da, bevor es die Schule überhaupt gibt. Und wenn ihre Kinder längst den Abschluß haben, sind sie oft immer noch teil der „Schulfamilie“ – die Waldorf- Eltern. Auf ihre Initiative geht die Gründung einer Waldorfschule zurück, und kaum ein anderer Schultyp fordert so sehr die Mitarbeit von Vätern und Müttern. Im Idealfall sind sie ebenso Teil der Schule wie ihr Kind. Dabei sind die wenigsten von ihnen dogmatische Anthroposophen. Nur 5 Prozent bezeichnen sich überhaupt als Anthroposophen. Auf höchstens ein Viertel schätzt die Münchner Waldorf-Expertin und Sachbuchautorin Ursula Hallwachs den Anteil der schwarzen Schafe. Zu diesen zählt sie zum einen die „Promis und Blender“, die die Waldorf-Pädagogik für ihre Kinder apart finden, aber sich ansonsten nicht engagieren; zum anderen die „Tausendprozentigen“, die für jede Entscheidung zwischen hellblauen oder rosa Servietten bei Rudolf Steiner nachschlagen. 75 Prozent seien maßvoll engagiert.

Die Einbeziehung der Eltern in die schulische Ausbildung ihrer Kinder ist für die frühere Waldorf- Lehrerin „der positivste Aspekt“ dieser Schulform. Heute unterrichtet sie an einer staatlichen Volksschule und steht bei Elternabenden meist nur einem traurigen Grüppchen gegenüber. „Die Elternbeteiligung bei normalen Schulen liegt doch sehr im argen.“ Da werden die Schulverfassungsgesetze der Länder oft zur leeren Hülse. Waldorfschulen erwarten die Teilnahme an den (meist) monatlichen Elternabenden.

Ein Dreieck von Schülern, Eltern und Lehrern – so sieht die anthroposophische Pädagogik ihre Schule im Modell. Dahinter steht nicht nur die Vorstellung, daß ein Kind nicht in „zwei Welten“ leben dürfe, Schule hier, Elternhaus dort. Darüber hinaus ist die Unterstützung durch die Eltern schon aus praktischen Gründen unerläßlich. Der Schulbetrieb könnte ohne sie gar nicht stattfinden. Schließlich müssen sich die Freien Waldorfschulen auch mit Hilfe von Elternbeiträgen finanzieren. Schulträger ist jeweils ein Verein, in dessen Vorstand Eltern und Lehrer gleichberechtigt sind. Der Finanzbedarf wird festgestellt und allen Eltern mitgeteilt. Anhand einer Richttabelle wird ihnen ein bestimmter Betrag zur Zahlung nahegelegt, aber auf welche Weise letztlich Eltern ihren Beitrag leisten, liegt in ihrem Ermessen. Und gerade bei Neugründungen schließt die Steinersche „Erlebnisgemeinschaft Schule“ auch die Erzeuger ein.

Oskar Tschörner ist Landschaftsplaner. Als es galt, in der Betonwüste des Märkischen Viertels im Norden Berlins eine neue Waldorfschule einzurichten, war seine Arbeitskraft gefragt. Er riß den Steinboden auf, machte das Schulgelände grün. Seine Frau hilft bei den Festen und Basaren. Beide entscheiden im Eltern-Lehrer-Rat mit über die Finanzierung der Schule und ihr pädagogisches Konzept. Der Klassenlehrer ihrer Tochter kommt dann und wann zu Besuch oder ruft mal an, Probleme werden in der Klassenversammlung zusammen mit den anderen Eltern geregelt. Das Ideal einer Schule ohne Entfremdung?

Die Tschörners sind überzeugt von der Waldorf-Pädagogik, Frau Tschörner hat selbst eine Waldorfschule besucht. Sie empfinden die Arbeit für und mit ihrer Schule als Bereicherung. Bei anderen Eltern hält sich das Engagement dagegen in engen Grenzen. Sie sind vage an einer alternativen Pädagogik interessiert, zahlen ihren Beitrag und gehen zum Elternabend. Kommt es zu Engpässen, weil gar nicht oder insgesamt zuwenig gezahlt wird, verschickt der Wirtschaftskreis der Schule schon mal diskrete Briefe an die Gutverdienenden. Meist reden vorher aber die Eltern untereinander Tacheles. Wenn alles nicht hilft, muß entweder das Lehrangebot eingeschränkt oder Extrageld in Form von Darlehen, Spenden oder Patenschaften beschafft werden.

Rudolf Steiner hatte 1919 für die erste Waldorfschule festgelegt, daß die Aufnahme eines Kindes völlig losgelöst von der Finanzkraft seiner Eltern zu entscheiden sei. Ursula Hallwachs stellt für München fest, daß oft gerade die finanzschwachen Alleinerziehenden mit ihrem Engagement die Schulen bereichern. Realität ist aber auch, daß in strukturschwachen Regionen, wenn vorwiegend „arme“ Kinder um Aufnahme bitten, die Schulverwaltung dringend nach „intakten“ Familien sucht. Wie im bayerischen Ismaning.

Für den Eltern-Lehrer-Kontakt sind besonders die monatlichen Elternabende wichtig. Wer als Lehrer in einer Waldorfschule arbeitet, muß mehr Zeit für die Eltern aufbringen als sein staatlicher Kollege. Nicht selten kommt es da beispielsweise auf den Elternabenden zu Konflikten. Und im Gegensatz zur staatlichen Schule gibt es hier keinen Direktor, der eingreifen könnte, wenn das Konsensprinzip zu endlosen Debatten in den Gremien führt. Georg Oppermann