Der Terror als Opferritus

■ Vargas Llosas neuer Roman ist ein finsterer Krimi über den Terrorismus in Peru

Keine andere Nation Lateinamerikas hat in den achtziger Jahren so gelitten wie Peru. Zwei unfähige Präsidenten, Fernando Belaunde (1980–1985) und Alan Garcia (1985–1990), scheiterten daran, die seit 1980 wiedergewonnene Demokratie für die Menschen attraktiv zu machen. Peru taumelte von Krise zu Krise, Inflation, Verschuldung, Korruption und Drogenhandel grassierten. Dazu kam eine Terrorguerilla, die in ihrem Dogmatismus und ihrer Brutalität höchstens noch mit Pol Pots Roten Khmer verglichen werden kann. Mehr als 30.000 Menschen, vor allem Campesinos, wurden umgebracht, sei es vom Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) selber oder im Zuge der antiterroristischen Strafaktionen. Ganze Dörfer in den Anden verwaisten. Auch vorher waren die Menschen arm, gab es Leid und Unglück. Aber sie hatten noch, „was sie heute verloren haben: Lebensfreude. Jetzt bewegen sie sich zwar und reden und betrinken sich, aber sie wirken alle halb tot.“

So lapidar läßt Mario Vargas Llosa, Perus bekanntester Autor (und gescheiterter Präsidentschaftskandidat von 1990), einen der Protagonisten seines neuen Romans die Stimmung des Landes in den achtziger Jahren beschreiben. „Tod in den Anden“ ist ein verwirrendes Kaleidoskop eindrucksvoller Szenen der Gewalt und der Magie, der Leidenschaft und der Angst, des Entsetzens und der Ratlosigkeit.

Hauptort der Handlung ist ein gottverlassener Ort hoch in den Anden, Naccos, ein Straßenbauarbeitercamp in der Nähe einer stillgelegten Silbermine. Der Sendero treibt sein Unwesen, viele, darunter nahezu alle Frauen, haben die Gegend bereits verlassen. Drei Menschen sind spurlos verschwunden. Korporal Lituma (eine Figur, die Vargas Llosa bereits mehrmals benutzt hat) sowie sein Amtshelfer Tomas sitzen als ortsfremde Polizisten in dem Kaff und sollen herausbekommen, wie es dazu gekommen ist. Natürlich haben sie Angst, natürlich werden sie von den Einheimischen und den Arbeitern mißtrauisch, ja feindselig beäugt. In der einzigen Kantine am Ort, wo die Handleserin Doña Adriana und ihr immer betrunkener Mann, der undurchsichtige Don Dionisio, das Regiment führen, stoßen sie bei ihren Nachforschungen nur auf Verachtung und dunkle Andeutungen. Sie hören von pishtacos, Menschenfett sammelnden Monstern, von apus, Berggeistern, von huaycos, mächtigen Erdrutschen, und von geheimnisvollen Ritualen und Menschenopfern, die vor Katastrophen und finsteren Mächten schützen sollen. Einziger Trost in dieser Situation ist für Tomas die traurig-dramatische Liebesgeschichte, die er gerade hinter sich hat.

Nacht für Nacht erzählt er dem Korporal von seinem großen Abenteuer mit einer Frau. Doch auch diese Geschichte ist durchwoben von Gewalt, Korruption, Enttäuschung und Vergeblichkeit.

Das Beängstigendste des Romans aber sind die immer wieder eingestreuten Berichte und Rückblenden, in denen die Verbrechen geschildert werden, die dieses Gebiet um Huancayo und Ayacucho heimsuchen. Auch hierbei geht es um Opferrituale, nur eben um solche, die im quasireligiösen Gewand des Fanatismus einer „modernen“ Guerilla auftreten. Da schießt ein Kommando eine ganze Vicuñaherde zusammen, weil der Imperialismus im Rahmen seiner weltweiten Strategie Peru die Rolle des Vicuñazüchtens zugedacht hat. Da wird ein Dorf im Laufe eines Volksgerichtes derart aufgehetzt, daß die Einwohner „die bösen Nachbarn, die falschen Freunde und die bösen Verwandten“ anklagen, verurteilen und erschlagen. Touristen werden massakriert, Naturschützer gemordet.

Das Wüten des Sendero, so der Grundgedanke des Buches, entspringt demselben Irrationalismus wie die Opferungen im alten Peru. Und es führt zu einer Wiederkehr des Aberglaubens, der Magie, der alten Riten. Alle drei Verschwundenen, der Stumme, der Albino und der Vorarbeiter, haben, bevor sie nach Naccos kamen, schlimme Erfahrungen mit dem Sendero gemacht. Naccos war für sie der letzte Zufluchtsort. Doch genau hier werden die Opfer, so stellt sich heraus, noch einmal und nun im wörtlichen Sinne geopfert: von Menschen, die in einer Atmosphäre des Terrors zu Schlächtern geworden sind.

„Zivilisation ist eine sehr schwache Errungenschaft, die immer die alten religiösen und magischen Kulturen verdrängt. Das Alte kann zurückkehren – wenn Chaos und Gewalt herrschen“, hat Vargas Llosa anläßlich seiner Lesereise mit dem neuen Buch in München zu Protokoll gegeben. Daß „das Alte“ immer nur Gewalt zeugende Irrationalität ist, muß man nicht für eine ewige Weisheit halten. Aber die Trostlosigkeit einer Dekade, in der es den Peruanern so scheinen mußte, fängt das Buch grandios ein – auch Düsternis kann erhellend sein. Thomas Pampuch

Mario Vargas Llosa: „Tod in den Anden“. Roman. Aus dem Spanischen von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, 383 Seiten, geb., 49,80 DM