■ Die taz ohne Chefredaktion: Thomas Schmid wurde seines Amtes enthoben, Arno Luik und Norbert Thomma haben gekündigt. Eine Chronik von Krach und Krise: tazlerInnen allein zu Haus
Berlin, Donnerstag morgen. Durch den Treppenflur der Kochstraße 18 dröhnen harte Schläge. Ein Schlosser im Blaumann steht im ersten Stock vor der Eingangstür zur taz. Mit hochrotem Kopf hämmert er auf ein Scharnier ein. Der drei Meter hohe Türkoloß aus Holz und Metall, Lebendgewicht 250 Kilo, läßt sich kaum noch in den Angeln bewegen. Verzogen und verklemmt.
Am Schlosser vorbei bahnen sich die ersten tazlerInnen den Weg zur Morgenkonferenz. Aus der Redaktion tröpfelt nur ein spärliches Grüppchen ein. Zehn Minuten später ist die taz-Redaktion cheflos. Das Doppelgespann Arno Luik und Norbert Thomma hat seinen Posten aufgegeben. Mit leicht ironischem Lächeln hat Norbert Thomma, genannt Herr Thömmes, verkündet: „Kürzlich haben wir der Redaktion erklärt, daß Arno am Montag für drei Wochen in Urlaub gehen wird und ich dann anschließend für drei Monate. Es gibt eine marginale Änderung. Wir gehen heute in Urlaub und kommen nicht mehr zurück.“
Arno Luik und Norbert Thomma gehörten zur vierten Generation von ChefredakteurInnen in der taz. Begonnen hatte es mit Georgia Tornow. Die frühere taz- Wirtschaftsredakteurin durfte sich allerdings noch nicht Chefin nennen, sie war nur „Redaktionsleiterin“. Ergebnis einer Gemengelage im linksalternativen Projekt, das begriffen hatte, wie sinnvoll Hierarchien in einem Zeitungsbetrieb sind, sich aber noch nicht recht von seiner basisdemokratischen Orientierung verabschieden wollte. Georgia Tornow zog es bald als Vizechefin zur Berliner Zeitung. Es kam das Trio Michael Sontheimer, Elke Schmitter und Jürgen Gottschlich. Eine Chefredaktion, die mit allem ausgestattet wurde, was die taz zu bieten hat: wenig Geld, wenig Handlungsspielraum, wenig Macht. Gepflogenheiten wie in anderen Blättern – brüllende Bosse, scharfe Sanktionen, hire and fire mit hohen Abfindungen – Fremdworte in der taz. Manches kann der Betrieb sich nicht leisten, vieles will er sich nicht leisten. Nach eineinhalb Jahren latenter Konflikte überwarf sich die Redaktion mit Michael Sontheimer. Peinlich pünktlich zum 15. taz-Geburtstag wurde er vom Vorstand entlassen. Der Vorstand, die Verlagsleitung der Zeitung, ist ein fünfköpfiges Gremium; die zwei Geschäftsführer sind per Satzung darin vertreten, die drei übrigen Mitglieder werden vom Gesamtbetrieb gewählt. Elke Schmitter und Jürgen Gottschlich kündigten aus Solidarität mit Michael Sontheimer.
Dann legte Arno Widmann ein Intermezzo ein. Früher intellektueller Kopf der taz-Kulturredaktion, dann bei Männer-Vogue in München. Als Chefredakteur kehrte er zur taz zurück. Doch bereits ein halbes Jahr später lockte ihn die Zeit als Leiter des Feuilletons nach Hamburg.
Im Februar 1995 wurde Thomas Schmid Interimschef. Ein taz- Gründer, erprobt und kompetent in den unterschiedlichen redaktionellen Positionen, unter anderem als Ressortleiter Ausland und Auslandsreporter. Er wollte die Zeit überbrücken helfen, bis der Vorstand sich für eine neue Chefredaktion entschieden hatte.
Im Juli vergangenen Jahres wurden Norbert Thomma und Arno Luik ins Haus geholt. Herr Thömmes – Fans der Leibesübungen-Seite erinnern sich gern – war früher taz-Sportredakteur; anschließend arbeitete er einige Jahre für andere Blätter. Mit Arno Luik betrat der erste Chefredakteur die Nr.18 der Kochstraße, der nicht aus dem taz-Umfeld kam. Er hatte unter anderem bei Tempo,Sports und Wochenpost geschrieben, sich durch seine Reportagen und Interviews einen Namen gemacht. Und er war seit langem taz- Fan.
Im vergangenen Jahr war die kleinste überregionale Zeitung längst an Chefs gewöhnt. Kein Anarcho- und Chaoshaufen. Trotzdem gibt es ein gerüttelt Maß an Problemen für einen Häuptling: die ganz normalen und die taz-typischen. Chefredakteure werden von der Redaktion leicht überfordert. Was sie sollen und dürfen, ist nur ansatzweise Konsens, der Rest ist Überzeugungsarbeit. Eine Rolle dabei spielt sicher auch die untertarifliche Bezahlung, die viele tazlerInnen nur deshalb akzeptieren, weil sie selbstbestimmt arbeiten können.
Um dem zu begegnen und um ein Stück Kontinuität zu wahren, beschlossen Schmid, Luik und Thomma, es als Dreiergespann zu versuchen. Und damit es nicht allzusehr nach Männerdurchmarsch aussah, kamen nur Luik und Schmid auf die Chefsessel, Thomma wurde „Redakteur im besonderen Einsatz“. Bedenken gab es genug: vor allem im Vorstand und in der Redaktion. Doch die drei Herren wollten es so. „Schuld an allem“, seufzt Vorstandsfrau Konny Gellenbeck, „sind diese Männer. Wie Ritter, die beim Gelage sitzen und sich anschließend zerstreiten. Am Ende sind alle tot, und die Erde ist verbrannt.“
Die Chefredakteure richteten sich in zwei kleinen Büros im vierten Stock der Kochstraße ein, voneinander und dem Rest der Welt nur durch Glaswände getrennt. Schön hätte es sein können. Eine Vielzahl von Kompetenzen waren in der Chefredaktion versammelt – ein Segen für das Blatt. Doch es dauerte nur zwei Monate bis zum ersten Krach. Auslöser waren inhaltliche und zeitungspolitische Differenzen zwischen Luik und Schmid. Es ging um Bosnien, und es ging um Moruroa. Doch sehr schnell auch um die grundsätzliche Frage: Was soll und was darf wie aufbereitet in der Zeitung erscheinen? Was ist taz-Niveau, was hart darunter?
Die Redaktion bekam diese Unstimmigkeiten mit. Doch über inhaltliche Auseinandersetzungen wundert sich in dieser Zeitung niemand. Drei Monate schaffte es das Trio, die Schärfe des Konflikts, der längst mit persönlichen Animositäten gespickt war, als „Chefsache“ zu behandeln. Motto: „Wir diskutieren nicht vor der Redaktion.“ Darin waren sie sich erstaunlich einig. Die persönlichen Anteile wurden rationalisiert und auf die Sachebene verschoben.
Ende vergangenen Jahres, als die Schwierigkeiten und gegenseitigen Behinderungen nicht mehr zu verbergen waren, richtete die Redaktion einen dringenden Appell an die Chefredakteure: Sie sollten sich ihrer Verantwortung erinnern und ihre unterschiedlichen Stärken im Sinne der Zeitung nutzen. Zwar hatten sich die meisten RedakteurInnen längst den einen oder anderen Chef als Ansprechpartner ausgeguckt; doch nur für einen entscheiden wollten sich die wenigsten. Beide zusammen erschienen wichtig für die taz.
Es war zu spät. Die Kommunikation im vierten Stock existierte nicht mehr. Der Vorstand, der zu lange gewartet hatte, versuchte eine letzte Rettung. Anfang Februar setzte er Thomas Hartmann, Alt-tazler und erfahrenen Berater von Medienbetrieben, als Schlichter ein. Die Chefredakteure hatten zugestimmt, nach drei Monaten sollte Hartmann sein Beratungsergebnis vorstellen.
Dazu kam es nicht. Ende März kündigten die Chefredakteure Luik und Thomma. (Inzwischen hatte auch Norbert Thomma den offiziellen Titel „Chefredakteur“.) Die Kündigung gaben sie nicht öffentlich bekannt. Sie hätten einen „leisen, unaufgeregten Abgang“ haben wollen, betonen Luik und Thomma. Doch im Nu war die Information draußen – hausintern und anderswo.
Am 13. April enthob der Vorstand Thomas Schmid seines Amtes. Von den fünf Vorstandsleuten stimmten drei für die Entlassung, bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Ziel sei, erklärte Geschäftsführer Kalle Ruch, die Voraussetzung zu schaffen, um Bleibeverhandlungen mit Luik/Thomma aufzunehmen. Thomas Schmid stünde „nicht für einen Neuanfang“. Die Redaktion positionierte und polarisierte sich. Notgedrungen. Doch der Betrieb besteht nicht nur aus der Redaktion. Da ist die Verwaltung, der Vertrieb, die Technik, die Anzeigen- und Aboabteilung. Alle gehören zur taz, alle sind am Produkt beteiligt. Die Sollbruchstelle im Gesamtbetrieb liegt traditionell zwischen der Redaktion und den anderen Bereichen. Und in diesen hatten die beiden neuen Chefs die Leute fast geschlossen hinter sich.
Die taz wieder voll in Krach und Krise. Was der Vorstand als Befreiungsschlag geplant hatte, war für eine Mehrheit der Redaktion ein geschäftsschädigendes und unsolidarisches Verhalten gegenüber dem langjährigen Kollegen und bewährten Chefredakteur Schmid. Die Redaktion versuchte ein Veto gegen seine Amtsenthebung einzulegen. Doch dazu bedarf es laut Redaktionsstatut einer Zweidrittelmehrheit. Das Veto scheiterte an zwei Stimmen. Von 78 Abstimmungsberechtigten stimmten 50 gegen die Absetzung von Schmid, 24 dafür, 4 enthielten sich.
Pünktlich zum 17. Geburtstag Mitte April beschäftigten sich die Medien mal wieder mit ihrem liebsten Enfant terrible. Abhängig davon, welchen taz-Chef die jeweiligen SchreiberInnen favorisierten und wer aus der Kochstraße die Interna geliefert hatte, wurde Stellung bezogen. Wer sich für Schmid einsetzte, für den waren Luik und Thomma die „Fast-food-Journalisten“, die aus der taz eine „linke Bild-Zeitung“ machen wollten. Wer pro Luik/Thomma schrieb, für den war Schmid ein „Traditionalist“, der „ideologisch verbohrt“ war. „Die taz – eine linke FAZ?“ fragte die Zeit. „Avanti dilettanti“ titelte der Spiegel. „Siebzehn Jahr, nix ist klar“, stellte die SZ fest, und FAZ, Wochenpost und Woche hatten auch eine Menge zu sagen.
An einem Punkt hatten die KollegInnen der anderen Medien recht. Es geht um mehr als um einen Chef. Es geht um die Frage: Wohin mit der taz? Wo liegt ihr Selbstverständnis? Von welchen alten Stiefeln muß sie sich verabschieden, was muß sie bewahren? Wo sind die neuen Leserschichten, die aus der dramatisch verschärften ökonomischen Krise helfen? „Alle träumen davon“, sagt Medienredakteurin Klaudia Brunst, „daß jemand kommt und sagt, wie es weitergeht, ohne uns weh zu tun.“ Zusätzlich ist der Konflikt Ausdruck eines Generationenkonfliktes. Dabei geht es weniger um das reale Alter als um die Frage, was taz-Journalismus ist. Wie intellektuell und sperrig muß das Blatt bleiben, wie lesefreundlich und handwerklich sauber muß es werden? Warum sollen inhaltlicher Anspruch und Lesbarkeit überhaupt Gegensätze sein?
Der Konflikt kochte weiter. Der Vorstand betonte, daß das Veto gescheitert sei, die Schmid-Anhänger in der Redaktion fühlten sich in ihrer Mehrheitsmeinung düpiert und mißachtet. „Für mich gab es nur einen echten Konflikt“, sagt Rolf Lautenschläger aus der Berlinredaktion, „den in der Chefredaktion. Alles, was sich danach abgespielt hat, ist relativ unverständlich. Bald ging es nicht mehr um Inhalte und Positionen, sondern um Hochschaukeln von Emotionen, Befindlichkeiten und Machtansprüchen.“ Interviews von Arno Luik in Stern und Woche verbesserten die Stimmung nicht gerade. Ein Pro-Schmid-Anzeige von Prominenten in der taz auch nicht.
Einige RedakteurInnen wollten kündigen, falls das Doppelgespann bliebe. Die Redaktion strengte eine zweite Abstimmung an. Darin wurde der Vorstand aufgefordert, keine Bleibeverhandlungen mit Luik und Thomma aufzunehmen. 47 RedakteurInnen stimmten dafür, 21 dagegen, 6 enthielten sich. Hier rächten sich unter anderem die Kommunikations- und Vermittlungsschwierigkeiten, die sich zwischen dem Chefredakteur Luik und einem Teil der Redaktion sehr schnell aufgebaut hatten.
Bei einer Gegenabstimmung forderten 70 Beschäftigte aus anderen Bereichen der taz den Vorstand auf, mit Arno Luik zu verhandeln. Fast alle Stimmen kamen aus Technik und Verwaltung, doch auch einige RedakteurInnen waren darunter. Die KollegInnen verwiesen unter anderem auf die 27prozentige Steigerung der Anzeigenerlöse und die zehnprozentige Erhöhung der Abozahlen – einen Erfolg, den sie Arno Luik anrechneten. „Wenn diese Zeitung sich an den Bedürfnissen einiger weniger RedakteurInnen orientiert und nicht an der sich verändernden Leserschaft, hat unsere Arbeit keine Chance“, schalt Anzeigenchef Gerd Thomas.
Aggression, Frustration, Depression. Die Mißstimmung hatte das ganze Haus erfaßt. Es wurde diskutiert, debattiert, es schwelte und zündelte an allen Ecken, die Nerven lagen blank. Ein Krisenmanagement mußte her, ein Runder Tisch aus allen Abteilungen wurde eingerichtet.
Bis Montag dieser Woche hatten sich Arno Luik und Norbert Thomma Bedenkzeit ausgebeten. Dann wollten sie erklären, ob sie – worum der Vorstand sie gebeten hatte – in der taz bleiben wollten. „Ja!“ sagten sie am Montag abend. Eine überzeugende Begründung für ihr Weitermachen und ein Konzept für die Zusammenarbeit blieben sie der Redaktion schuldig. Sie machten ihr Bleiben aber abhängig von einem breiten Diskussionsprozeß aller Abteilungen, bei dem von der Investitionsplanung über Managementstrukturen bis zum Selbstverständnis der Redaktion Klarheit in der taz geschaffen werden sollte.
Am Dienstag war die Kochstraße ein Wespennest. Mehr als ein halbes Dutzend RedakteurInnen und AuslandskorrespondentInnen hatten sich entschlossen, die taz zu verlassen. Obwohl der Vorstand die beiden unterstützte, hatten Arno Luik und Norbert Thomma endgültig keine Lust mehr. „Wir waren auf dem richtigen Weg“, sagt Arno Luik, „wir hatten ein sehr positives Feedback. Für die taz ist es eine vergebene Chance.“ In der Redaktion sehen das viele anders.
Seit mehr als drei Wochen ist der Schreibtisch von Thomas Schmid leergefegt und verwaist. Am Donnerstag vormittag räumten Arno Luik und Norbert Thomma im Glaskasten gleich nebenan ihre Tische. Ende eines „Bündnisses für Ärger“. Die Mehrheit der RedakteurInnen gibt sich erleichtert. Doch andere sind wütend. Auch die nichtredaktionellen Abteilungen fühlen sich übergangen. Layouter Kay Böhm: „Die Stimmung ist Scheiße.“
Doch am Donnerstag nachmittag hat der Schlosser mit seinem Gehämmer im ersten Stock aufgehört. Er hat die Farb- und Schmutzverkrustungen an den Scharnieren weggeschlagen, das Türblatt angehoben, die Stifte geölt. Der Türkoloß bewegt sich wieder in den Angeln. Bascha Mika
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