Das Öl entzweit Nigeria und Kamerun

■ Nigeria hält eine Halbinsel besetzt, vor der Kamerun Erdöl fördert. Die Grenzscharmützel eskalieren langsam zum Krieg

Berlin (taz) – Als „trostlosen Sumpfstreifen, der nur von ein paar erbärmlichen Gestalten besiedelt ist“ bezeichneten die Briten 1913 noch die 655 Quadratkilometer große Halbinsel von Bakassi im Golf von Guinea, die sie damals an das Deutsche Reich abtraten. Heute rasseln zwischen dem damals britischen Nigeria und dem damals deutschen Kamerun die Säbel: Reiche Öl- und Gasvorkommen in den fischreichen Atlantikgewässern vor der Halbinsel reizen Nigerias Appetit auf das sumpfige Gebiet.

Gefechte mit schwerer Artillerie erschüttern die Halbinsel seit mehreren Wochen – die heftigsten seit mehreren Jahren. Nigeria und Kamerun machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Es sind nicht die ersten Auseinandersetzungen um das Gebiet: Zuerst drangen nigerianische Soldaten im Dezember 1993 auf die Halbinsel vor. Nigeria hält seitdem mehrere kamerunische Dörfer besetzt. Am 3. Februar 1996 besetzte Nigeria einen weiteren Teil der Bakassi-Halbinsel, und im März forderte der Internationale Gerichtshof in Den Haag entsprechend einer Forderung Kameruns Nigeria auf, diesen Teil wieder zu räumen. Zudem nahm er eine Empfehlung von UN-Generalsekretär Butros Ghali auf, eine internationale Untersuchungskommission auf die Halbinsel zu entsenden.

Ob diese Kommission jemals eingesetzt wird, gilt als fraglich. Meist fehlen für solche Dinge die Gelder und auch der Wille. Anfang März hatte der UN-Sicherheitsrat bereits an Nigeria und Kamerun appelliert, einen noch Mitte Februar unter Vermittlung Togos vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten – vergeblich. Schon 1994 war ein togoischer Vermittlungsversuch gescheitert. Als Kamerun 1995 vor den Internationalen Gerichtshof zog, wollte Nigeria die Klage zunächst als unzulässig zurückweisen lassen. Begründung: Es gebe gar keinen Grenzstreit.

Bei der Frage, wem Bakassi gehört, gibt das Völkerrecht eher Kamerun recht. Der 1913 zwischen Großbritannien und Deutschland vereinbarte Grenzverlauf zog die Grenze zwischen Nigeria und Kamerun mitten durch den Fluß Aquayafe, und damit zählte die östlich des Flusses gelegene Halbinsel eindeutig zu Kamerun. Nach dem Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches war Bakassi Teil des britischen Mandatsgebiets Südkamerun, das 1961 nach einem UN-Referendum Teil des unabhängigen Kamerun wurde.

Nach nigerianischer Auffassung leben jedoch auf dem umstrittenen Gebiet zu 90 Prozent Nigerianer. Auch Kamerun bestreitet nicht, daß die Bevölkerungsmehrheit nigerianisch ist und die Kameruner zur anglophonen Minderheit Kameruns gehören. Bekannt ist auch, daß die frankophone kamerunische Polizei nicht zimperlich mit der von ihr beherrschten Bevölkerung umspringt. Deshalb fordert die nigerianische Opposition ein Referendum für Bakassi. Kamerun sieht aber keinen Anlaß, das Territorium deshalb abzutreten.

Für Kamerun steht viel auf dem Spiel. In den Gewässern vor Bakassi hat Kamerun fast 30 Ölkonzessionen vergeben; die Förderung sichert Kamerun fast 90 Prozent seiner Einnahmen aus dem Ölexport, der etwa die Hälfte der kamerunischen Ausfuhreinnahmen ausmacht. Fiele Bakassi nun an Nigeria, käme Kamerun in enorme finanzielle Schwierigkeiten.

Der Internationale Gerichtshof wird im kommenden Herbst zunächst über die Zulässigkeit der Klage Kameruns entscheiden. Kamerun drängt überdies darauf, daß der Gerichtshof den gesamten 1680 Kilometer langen Grenzverlauf zu Nigeria bestätigt. Hier schwelen Konflikte um fruchtbares, aber wenig besiedeltes Weideland im mittleren Bereich und um den Tschadsee an der Schwelle zur Sahara, wo Nigeria und Kamerun auf Tschad und Niger treffen. Der See ist am Versanden, und nigerianische Fischer besiedeln längst kamerunisches Gebiet. Offensichtlich stößt Nigeria, mit über 105 Millionen Einwohnern Afrikas bevölkerungsreichstes Land, ressourcenbedingt an seine Grenzen.

Ein Urteil des Gerichtshofes wird vermutlich erst in drei Jahren gefällt. Daß es respektiert wird, ist dann Aufgabe des UN-Sicherheitsrates. Ein bestehender Beistandspakt zwischen Kamerun und Frankreich könnte dem nachhelfen. Zwar ist dies unsicher, denn Frankreich ist auch an guten Beziehungen zu Nigeria interessiert – französische Profite aus dem nigerianischen Ölgeschäft sind inzwischen fast zweimal einträglicher als die mit Kamerun. Doch Nigeria warf Frankreich bereits 1994 vor, militärisch zugunsten Kameruns in den Konflikt einzugreifen. Nach neuen nigerianischen Zeitungsberichten über französische „Legionäre“ auf Bakassi dementierte Paris am Mittwoch, daß französische „Soldaten“ in „dieser Zone“ zugegen seien. Daniel Stroux