Späte Freiheit für Hanna Krabbe

Nach 21 Jahren wurde die RAF-Frau aus der Haft entlassen. Sie war am Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt. Ein breites Bündnis bewirkte ihre Freilassung  ■ Aus Lübeck Marco Carini

Hanna Krabbe ist nach 21 Jahren Haft frei. Gestern öffnete sich um 10.15 Uhr die Pforte 3 der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof für die ehemalige RAF-Aktivistin. Rund 60 Freunde und Angehörige empfingen sie mit Blumen, lauter Musik und Sprechchören, in denen die „Freiheit aller politischen Gefangenen“ gefordert wurde.

Bevor sie sich zum Feiern in ihre neue Heimat Hamburg bringen ließ, dankte die von zahlreichen Mikrofonen und Kameras bedrängte Krabbe allen FreundInnen, die mit ihrer Solidaritätsarbeit ihre Haftentlassung möglich gemacht hätten, und erinnerte daran, daß noch immer zehn Personen aus der RAF hinter Gittern sitzen.

1977 war Hanna Krabbe vom Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen zweifachen gemeinschaftlichen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die damals 29jährige war im April 1975 am Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt gewesen, bei dem zwei Diplomaten erschossen wurden. Ein „Kommando Holger Meins“ hatte die diplomatische Vertretung besetzt, um die Freilassung von 26 inhaftierten GesinnungsgenossInnen zu erreichen. Die Geiselnahme war nach der Ermordung der beiden Diplomaten durch einen Polizeieinsatz beendet worden, bei dem zwei Kommando-Mitglieder erschossen wurden. Am Montag hatte das OLG Düsseldorf den Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe zur fünfjährigen Bewährung ausgesetzt.

In ihrer Entscheidung bescheinigten die Richter Hanna Krabbe eine „veränderte Haltung zur Gewaltfrage“. In einer Anhörung vor dem OLG hatte Krabbe im November 1995 laut Gerichtsbeschluß erklärt, sie werde bei der Fortsetzung ihres „politischen Kampfes für ein anderes Gesellschaftssystem nicht mehr die Mittel anwenden, die früher von der RAF eingesetzt worden sind“. 14 Jahre ihrer Haft hatte Krabbe in Lübeck-Lauerhof verbracht. Nach dem „Deutschen Herbst“ war hier eine besondere, isolierte Abteilung für weibliche RAF-Häftlinge eingerichtet worden, in der bis zu fünf Frauen einsaßen. Nach der Entlassung von Irmgard Möller und Christine Kuby aus Lübeck im vergangenen Jahr war Krabbe die letzte RAF-Gefangene in Schleswig-Holstein.

„Auch für uns geht eine wichtige Ära zu Ende“, kommentierte Anstaltsleiter Dieter Schmelzer das auch von ihm befürwortete Haftende für Krabbe. 1994 war Krabbe aus einem gemeinsam mit den am Stockholmer Überfall beteiligten und inzwischen entlassenen RAFlern Karl Heinz Dellwo und Lutz Taufer betriebenen Entlassungsverfahren nach politischen Differenzen mit den beiden noch ausgestiegen. Im Rahmen ihres im Juli 1995 von ihr selbst angestrengten erneuten Verfahrens hatten sich neben der linken Solidaritätsbewegung auch die Lübecker Bürgerschaft und Lübecks Oberbürgermeister Michael Bouteiller für ein baldiges Haftende eingesetzt.

Krabbes politischer Widerstand hatte 1970 im an der Universität Heidelberg gegründeten und später verbotenen „Sozialistischen Patienten Kollektiv“ begonnen, das sich für eine radikale Antipsychiatrie einsetzte und Krankheit als innere Rebellion gegen die zerstörerischen kapitalistischen Verhältnisse interpretierte. Kurz danach schloß sie sich der RAF an.