Mutwillige Autokratzer

■ Vor dem Amtsgericht: Nachbarn. Günther G. soll dem Rentner J. auf dem Parkplatz von Comet die Autotür zerkratzt haben.

Einen kleinen Einblick in die Abgründe des gemeinen Nachbarschaftsstreits erlaubte ein Termin vor dem Amtsgericht am letzten Donnerstag. Ob der Streit darin gipfelte, daß Herr G. dem Auto des 67jährigen Rentners J. mutwillig einen Kratzer zufügte, blieb in der Verhandlung letztlich ungeklärt. Daß unter streitenden Nachbarn niemand sauber bleibt, trat indes offen zutage.

Günther G. aus Gröpelingen ist 42 Jahre alt, sieht aber älter aus. Er ist gelernter Einzelhandelskaufmann, arbeitslos, geschieden. Vier Jahre lang lebte er bei seiner „Bekannten“, im selben Haus wie Herr J. Man duzte sich, es war eine gute Nachbarschaft. Irgendwann änderte sich das, niemand weiß genau, warum.

Herr J. sagt, Herr G. wäre Trinker. Er hätte manchmal zwölf Stunden im Keller gestanden und Alkohol getrunken. Er hätte ihn und seine behinderte Frau angefangen zu beschimpfen und Griffe und Knaufe an Türen abmontiert, die für die Rollstuhlfahrerin angebracht waren. Günther G. hätte ihn aus dem Haus ekeln wollen, weil er es auf seine Wohnung abgesehen hätte.

Günther G. wiederum sagt, Herr J. sei Trinker, trinke oft und ausgiebig Alkohol an der elf-Tankstelle in der Nähe. Außerdem sei er „nicht ganz dicht“, hätte die Kinder seiner Freundin beschimpft, seine hochschwangere Freundin im Keller eingesperrt und später sein Auto so geparkt, daß seine Freundin mit dem Kinderwagen nicht durchkam. Zudem hätte der Rentner sein Auto so dicht am Auto eines Nachbarn geparkt, daß der nicht mehr rauskam. Sieben Zentimeter Stoßstangenabstand, das hätte er nachgemessen.

Am Ende zog Günther G. mit Frau und Kindern aus, in ein Haus ein paar Straßen weiter. Daraufhin erlebte Herr J. hintereinander drei Kratzanschläge auf sein Auto, alle auf dem Parkplatz des Comet-Supermarkts in der Seewenjestraße in Gröpelingen, wo Herr G. regelmäßig einkauft. Am 17. Juni 95 ertappte Herr J. angeblich den Herrn G. auf frischer Tat, wie er die Beifahrertür zerkratzte, und holte die Polizei. Die schickte dem Günther G. einen Strafbefehl über 400 Mark, gegen den dieser Widerspruch einlegte.

Autobesitzer J. schilderte vor Gericht recht plastisch, wie Günther G. und Freundin bei Comet am Dosenregal zuerst tuschelten, dann der Mann „rausflitzte“ und „bei meinem Wagen zugange war“. Die Freundin allerdings bezeugte vor Gericht, ihr Mann sei nur kurz rauchen gegangen und überhaupt nur wenige Sekunden aus ihrem Blickfeld verschwunden. G. sagte, er sei zur Apotheke gegangen und keinesfalls auf dem Parkplatz gewesen, schon weil er kein Auto besitze. Rentner J. hatte für seine Version keinen Zeugen.

Warum der Geschädigte den Beschuldigten nicht gestellt habe, wollte das Gericht wissen. Und stieß auf eine unergründliche Welt voll von körperlichen Auseinandersetzungen. „Weil der mir schon einmal von hinten das Auge blau geschlagen hat!“ rief Herr J. – Herr G. dagegen behauptete, J. prahle damit, ihn verprügelt zu haben, dafür habe er Zeugen. Dabei: „Wenn mir jemand was tut, hau' ich zurück.“

Der Staatsanwalt war nicht erfreut, mußte sich schließlich jedoch der Meinung der Richterin anschließen, daß das Verfahren einzustellen sei. Die Richterin redete dem Beschuldigten allerdings noch ins Gewissen: Es bestünden „Restzweifel“ an seiner Unschuld, er wirke ziemlich geladen und aggressiv und habe offenbar Alkoholprobleme zumindest in der Vergangenheit gehabt, worauf eine Vorstrafe hindeute. „Auch Sie können als Nachbar unangenehm sein.“ Der Rechtsanwalt von Herrn G. meinte im übrigen, die Verfahrenskosten seien mit ca. 600 Mark schon hoch genug – bei 1000 Mark Arbeitslosengeld. Zudem warte noch die zivilrechtliche Auseinandersetzung, bei der Rentner J. versuchen will, 7.200 Mark Schadensersatz fürs Lackieren seines alten Wagens zu bekommen, was recht aussichtslos erscheint.

Hinlänglich bewiesen wurde in der Verhandlung eigentlich nur eins: daß Günther G. jede Menge Gründe gehabt hätte, das Auto des Herrn J. zu demolieren. Und daß Rentner J. jede Menge Gründe gehabt hätte, dem G. was anzuhängen. Sicher ist allein: Der Streit geht weiter. BuS