: Liturgischer Heizdeckenverkauf
SCHWABFahrt / SCHWABFleisch / SCHWABPost – die Wiener Festwochen bieten eine Wallfahrt zu Ehren eines toten Dichters. Da gehen selbst archäologisches Stöbern im Halbprivaten und Devotionalenverkauf zusammen ■ Von Uwe Mattheiß
Zählappell am Wiener Südbahnhof: Samstag morgen 8 Uhr 22. Frischgeduscht, noch etwas bleich, aber guter Dinge sammeln sich eine Gruppe Wiener Theaterschaffende, ihre Gäste und ein paar Journalisten am Bahnsteig und besetzen die reservierten Plätze im Waggon für die bevorstehende „SCHWABFahrt“ nach Graz. Die Wiener Festwochen haben dem breiten Angebot an Erlebnisreisen, das neuerdings dem darniederliegenden Österreich- Tourismus neue Märkte erschließen soll, eine Variante hinzugefügt: Ein Tag mit einem toten Dichter.
Ein Angebot durchweg aus Raritäten: Für literarische Erbauung sorgen Texte aus dem weniger bekannten Frühwerk Schwabs, zwei Ausstellungen in Graz und Wien geben Einblicke in seine Arbeiten als bildender Künstler. Im Paket enthalten sind Zugfahrten zwischen Wien und Graz, reibungslose Bustransfers, Brezeln und belegte Brote zur Verpflegung sowie pro Vernissage im Schnitt ein Viertel trinkbaren Weins pro Teilnehmer. Das Ganze dank noch vorhandener Kultursubventionen aus Wien für konkurrenzlose 100 Schilling (etwa 15 Mark) Unkostenbeitrag. Ein wohlfeiles Angebot, daß den Teilnehmern dennoch einiges abverlangt: Das Programm sowie die Hin- und Rückfahrt über die nostalgisch- holprige Südbahnstrecke zwischen Wien und Graz erfordern Zeit und Anstrengungen, wie sie sonst nur Pilgernde in das steirische Mariazell auf sich nehmen.
Nach einiger Zeit ziehen sich die Kulturschaffenden zur Vorbereitung ihres Programms zurück, der Rest verzieht sich in den von einem slowenischen Team hervorragend geführten Speisewagen oder nickt spätestens auf den malerischen Höhen des Semmerings im monotonen Geschaukel des Zuges über der Lektüre ein. Die Fahrt geht in die Steiermark, jene Provinz, die überdurchschnittlich und maßgeblich zum Ruhm der österreichischen Nachkriegsliteratur beigetragen hat.
Der Schwab-Kult, der unter der dramaturgischen Ägide des deutschen Feuilletonisten Helmut Schödel derzeit vom Wiener Schauspielhaus ausgeht und sich ins Land verbreitet, spekuliert auf ein doppeltes Schuldempfinden: Zum einen das österreichische, darin bestehend, daß die wichtigen Theatertexte Schwabs zu dessen Lebzeiten weitgehend ignoriert wurden. Hans Gratzers Schauspielhaus bildet darin gerade die Ausnahme. Hier wurden die wenigen österreichischen Schwab- Uraufführungen am Markt durchgesetzt. Das zweite ist ein Unbehagen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft, durch die unaufhörliche Gier nach Shooting- Stars am Theaterhimmel, zur tödlichen Selbstüberhitzung eines Ausnahmedramatikers beigetragen zu haben.
In den fortdauernden Schwab- Festspielen am Wiener Schauspielhaus beschert dieser säkularreligiöse Zugang zu Schwabs Texten eine „werktreue“ aseptische Aufführungspraxis, die Schwabs Sprache die Komödie, die Sinnlichkeit und die Beharrungskräfte des Fleisches selbst im Verfall nimmt. Zur Bühnenweihe-Ästhetik der posthumen Uraufführungen – die letzte, „Hochschwab“, geht am 9. Juni über die Bühne – gesellt sich das archäologische Stöbern im Halbprivaten, das seit Boltanski und Kabakov offenbar zum Paradigma allen gegenwärtigen Kunstschaffens geworden ist. Dazu kommt, wie bei allen Literatur- Kulten von Arno Schmidt bis Thomas Bernhard, die zwanghafte Nachahmung des Sprachgestus der Meister. Die SCHWABFahrt führt zu SCHWABFleisch und SCHWABPost und bringt in der fortgesetzten Wortspielmechanik auch noch einiges an Devotionalien unter die Leute.
In Graz trifft der Betrachter in der Neuen Galerie am Landesmuseum auf die Nachbildung von Schwab-Installationen aus den 80er Jahren. SCHWABFleisch sind sieben altarähnliche Tischflächen, auf denen Innereien und Schlachtabfälle angeordnet sind, wie sie bei Schwab als bäuerlichem Selbstversorger angefallen sind. Der Rekonstruktion dieser vergänglichen Exponate haftet der Hautgout der säkularreligiösen Feier an: Draußen im Hof werden Brot und Wein gereicht. Drinnen wird die Wandlung vom Beuschel zu SCHWABFleisch vollzogen.
Doch kurze Zeit später schallt der Ruf „Abservieren!“ durch die Runde. Fotografische Nachbildungen ersetzen die Sinnlichkeit der gefallenen Welt. Es heißt nicht mehr: dies ist SCHWABFleisch, sondern nur noch: dies bedeutet SCHWABFleisch.
Zeichen ewiger Vergänglichkeit sind sieben Prosatexte: „ORGASMUS: KANNIBALISMUS Sieben Liebesbriefe an die eigene Beschaffenheit“. Diese hymnischen Selbst- und Naturerfahrungen werden später in einer nur selten ironisch gebrochenen Feierstunde während der Rückkehr nach Wien verlesen.
Einer fehlte beim liturgischen Heizdeckenverkauf im Salonwagen: FM Einheit hatte in Graz den Anschluß verpaßt.
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