Vertrautes Mobiliar – geschärfte Blicke

Das Verhältnis von SED und Stasi im Fadenkreuz. Von einer Fachkonferenz, die am Wochenende die Abteilung Bildung und Forschung der Gauck-Behörde abhielt, berichtet  ■ aus Berlin Christian Semler

Der Konferenzsaal des Innenministers im Festungsblock zwischen Glinka- und Mauerstraße hat den kargen Charme der DDR- Bürokultur beibehalten – ein Verdienst der jetzt hier residierenden Gauck-Behörde. Deren Abteilung Bildung und Forschung hatte, unter der Federführung von Walter Süß und Siegfried Suckut, Ende letzter Woche zur Konferenz über „Staatspartei und Staatssicherheitsdienst“ an diesem schaurig- schönen Ort eingeladen.

Forschungschef Klaus-Dietmar Henke formulierte eingangs die Leitfragen: War die Stasi wirklich „Schild und Schwert der Partei“? Oder war sie nicht Generalunternehmer für Sicherheit, nur begrenzt kontrollierbar? War die Firma „verdeckter Steuerungs- und Manipulationsmonopolist“, hat sie dieses Monopol tatsächlich eingesetzt und, wenn ja, mit welchem Erfolg? Das Schöne bei der Arbeit an den offenen Akten, so Henke, ist, daß jede gefundene Antwort neue Fragen aufwirft.

Umstürzend Neues war auf der Tagung nicht zu erfahren. Aber der fortgeschrittene Forschungsstand zeigte sich in differenzierenden Analysen. Der Übergang der Staatssicherheit von der Verfolgung einzelner „konterrevolutionärer“ Gruppen zu einem Konzept umfassender, auch ideologischer Kontrolle kann jetzt präzise festgemacht werden. Die dominierende Rolle Ulbrichts, der den Sicherheitsdienst mittels Erich Mielke dauerhaft der Parteiführung unterwarf, tritt klar hervor. Zwar muckten, zumal in Personalfragen, die Stasi-Oberen gelegentlich auf, aber die „Definitionsmacht“, der Entscheid über die Feindbestimmung, lag eindeutig bei der Parteiführung.

Dies im Unterschied zu den sowjetischen Kollegen, wenn man dem russischen Bürgerrechtler Boris Pustintsew glauben darf. Der hob den Charakter des sowjetischen Geheimdienstes als einer „sich selbst regulierenden“ und „selbst-reproduzierenden“ Organisation hervor. Weshalb es den KGBlern auch leichtgefallen sei, die Auflösung des sowjetischen Imperiums zu überleben.

Wo die Quellen sprudeln, eben in den 50er und 60er Jahren, läßt sich freilich gut forschen. Anders die 80er Jahre, wo Hans-Hermann Hertle auf der Tagung als Mythenzertrümmerer auftrat. Er zerpflückte die Mär, wonach die Stasi den Mauerfall orchestriert habe, und breitete, zur Freude des Auditoriums, das Bild der allgemeinen Lähmung des Herrschaftsapparats an jenem 9. November 1889 aus. Freilich bedarf seine These, die Parteiführung habe bis zum bitteren Ende nur die (endgültige) Ausreise konzedieren wollen, noch weiterer Untermauerung. Auch Jens Giesecke übte sich in der Kunst, populäre Mythen zu widerlegen. Nach ihm hat es Karrieren ehemaliger Nazis im Stasiapparat einfach nicht gegeben.

Nach wie vor ist das Sicherheitskalkül der sowjetischen Besatzungsmacht in Deutschland von einem dichten Schleier umgeben. Der amerikanische Historiker Norman Naimark, großer Star der Tagung, legte dar, daß in der sowjetischen Sicherheitspolitik, wie in der Deutschlandpolitik überhaupt, mehrere Konzepte miteinander rivalisierten. Stalin ließ das Außenministerium, die Sicherheitsleute, die „spontanen Stalinisierer“ gegeneinander arbeiten, hielt verschiedene Optionen aufrecht – und entschied nichts. So wäre es verfehlt, aus dem raschen Aufbau deutscher Sicherheitsstellen zu schließen, daß sich die Sowjets schon frühzeitig auf die Bildung eines deutschen Separatstaates orientiert hätten. Wie schon bei der Diskussion über die Zwangsvereinigung SPD/KPD verdichtet sich der Eindruck, die Sowjetunion habe überhaupt keine kohärente Deutschlandpolitik verfolgt.

Der historischen Detailgenauigkeit stand bei der Tagung eine merkwürdige Begriffsunsicherheit gegenüber. Das betraf nicht nur die ziemlich überflüssige Diskussion über die Frage, ob Hannah Arendts Totalitarismus-Doktrin auf die DDR, damit auch auf ihren Geheimdienst, angewandt werden könne. Auch die von Armin Mitter vorgeschlagene Differenzierung zwischen Macht (gleich unmittelbarem Zwang) und Disziplinierung rief eine Debatte hervor, die eine genauere sozialwissenschaftliche Fundierung, etwa mit Hilfe Foucaults, gut vertragen hätte. Dies um so mehr, als fachhistorische Borniertheit eigentlich nicht das Problem der Tagung war.

Zwei Referate sprengten auf produktive Weise den Rahmen der Fachtagung: Jens Reich verlas einen Aufsatz zur „Firma“, den er 1988 im Freundeskreis vorgetragen hatte und der damals, unter Pseudonym, in Lettre International erschienen war. Dieser glänzenden Beschreibung von Feigheit als Strategieersatz fügte Reich die Frage hinzu, was eigentlich die Demokraten gehindert habe, sich diesen ganzen „völkerrechtlich anerkannten Schwachsinn“ zehn Jahre früher vom Hals zu schaffen. Letztlich, so Reich, sei es der Entschluß seiner Kinder gewesen, nicht das Leben der Eltern führen zu wollen, der ihn zur politischen Aktion getrieben habe. Reich insistierte auf der Kluft zwischen der Wahrnehmung der Stasi einst und jetzt. Ein zentraler Hinweis, nicht zuletzt für die langjährigen DDR-Watcher.

Lutz Niethammer plädierte für Lockerungsübungen, für ungewohnte Analogien. Er legte den Stasiniks nahe, mit Strukturbegriffen vorsichtig umzugehen. Niethammer schlug explizit vor, für eine Geschichte des Seelenzustands der Partei wie der Parteiunterworfenen auf das Jahr 1945 zurückzugehen, mithin auf das Erbe des Dritten Reiches. Schade, daß der Vielbeschäftigte ins Flugzeug zurückmußte, ehe die Diskussion richtig in Schwung kam.