Grüne Einsprengsel im Kieler Koalitionsvertrag

■ Die Basis ärgert sich, daß sie die Kröte Ostseeautobahn schlucken muß

Kiel (taz) – Der lila Faden im rot-grünen Kieler Koalitionsvertrag ist zu sehen. In fast jedem Politikbereich ist ein Absatz zur Frauenpolitik zu finden. Schwerer ist da schon die Suche nach dem grünen Faden. Dennoch: Durch „dicke grüne Einsprengsel“ werde das grüne Profil in den Leitlinien für vier Jahre Regierungsarbeit sichtbar, meinte die grüne Landesvorstandssprecherin Susanne Böhnert-Tank optimistisch.

Nach vierwöchigen Verhandlungen hatten SPD und Bündnisgrüne am Freitag den Koalitionsvertrag paraphiert. Er wird am Dienstag veröffentlicht. Am 18. Mai sollen Parteitage von SPD und Grünen endgültig über den Vertrag entscheiden und Ministerpräsidentin Heide Simonis vom Landtag am 22. Mai bestätigt werden.

Der Protest der Basis macht sich aber an dem Zugeständis der grünen Führungsriege beim Bau der Ostseeautobahn 20 fest. Bereits zwei Kreisverbände in Schleswig- Holstein haben sich unter Vorbehalt gegen den Vertrag ausgesprochen, nur einer dafür. Die Lübecker Grünen versuchen derweil, den Widerstand aus verschiedenen Kreisverbänden zu organisieren.

Die grüne Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein und Mitglied der Verhandlungskommission, Angelika Beer, stellte sich gestern hinter das Ergebnis: Der Vertrag sei es trotz der A 20 wert. In der Praxis werde sich zeigen, ob die SPD bereit sei, Macht für eine gemeinsame Politik abzugeben.

Im Gegenzug zum Zugeständnis der Grünen, daß der Bau der A 20 nicht zu verhindern ist, hat die SPD einer Reihe von grünen Forderungen nachgegeben, durch die sich die Landespolitik verändern könnte.

Zu den grünen Sprengseln zählen viele Einzelheiten in den Bereichen Bildung, Frauen, Asylpolitik, Ökologie, Wirtschaft und Atompolitik. So wurde im Koalitionsvertrag festgeschrieben, daß bei der Vergabe von Aufträgen in die Vertragsbedingungen, die Verpflichtung frauenfördernder Maßnahmen aufzunehmen ist. Außerdem wird die Auftragsvergabe an weitere Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel, daß die Unternehmen Tariflöhne zahlen müssen und nur sozialversicherten Arbeitsverhältnisse unterhalten dürfen.

Zur Atomaufsicht haben die Grünen die Landesregierung darauf festgelegt, daß man Auseinandersetzungen mit der Bundesaufsicht nicht ausweichen wird, sondern alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten entschieden nutzt. Aus grüner Sicht war die SPD-Landesregierung bisher gegenüber der Atomaufsicht zu nachgiebig. Für das Kernkraftwerk Krümmel ist eine gründliche Sicherheitsüberprüfung auch zur Erdbebensicherheit vereinbart worden. Für den Vertrag sprechen auch zwei millionenschwere Gutachten unter grüner Federführung zur Klärung der Häufung von Leukämie-Erkrankungen in der Nähe des Atomkraftwerkes Krümmel bei Geesthacht und für den Pinneberger Raum.

Festgeklopft wurde in den 87 Seiten des Papiers auch die Einrichtung eines Landesbeauftragten für Flüchtlingsfragen sowie eine Härtefallkommission, die sich aus Mitgliedern von Kirche, Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen und Vertretern des Innenministeriums zusammensetzt.

Weiche Formulierungen wie anstreben, wollen, sollen, prüfen, finden sich in dem Vertrag vor allem bei der Verkehrspolitik im Straßenbau. Auch in Teilen der Finanz- und Wirtschaftspolitik, dürften sich noch Fallstricke verbergen. Die Grünen erhalten das Umweltministerium sowie ein neuzuschaffendes Ministerium für Frauen, Wohnungsbau, Familie und Jugend sowie einen zweiten Staatssekretär in dem auch für die Atomaufsicht zuständigen Ministerium für Finanzen und Energie. Als sicher gilt, daß der grüne Bundestagsabgeordnete Rainder Steenblock das Umweltministerium leiten wird. Angelika Beer entschied gestern, daß sie als Frauenministerin nicht zur Verfügung steht. Der Zuschnitt entspreche nicht ihrem politischen Profil. Die Grünen gehen nun auf die Suche, zumal die aussichtsreichste Kandidatin, die jetzige Landtagsabgeordnete und Ex-Lübecker Frauenbeauftragte Angelika Birk, in den eigenen Reihen als umstritten gilt. Kersten Kampe