Im Schatten verdrängter Gestalten

■ Die Algerierin Assia Djebar stellt ihren neuen Roman vor

In Algerien gilt die renommierteste Autorin des Maghreb als „bourgeoise Verräterin“. Sie repräsentiert die unter westeuropäischem Einfluß stehende Algerierin, die gleichberechtigt neben dem Mann ihren Platz einfordert.

1952 wurde sie als erste Algerierin in Paris für die Ecole Normale Supérieure des Sèvres zugelassen. Später betrieb sie Studien zu weiblichen Biografien und drehte Filme, von denen Zerde und die Gesänge des Vergessens 1979 in Venedig den Preis der Internationalen Kritik erhielt.

Ihre frühen Romane stellen die algerische Frau und das textile Symbol ihrer Unselbständigkeit, den Haik (das körperverhüllende Umschlagtuch) in den Mittelpunkt, zuletzt 1987 in Die Schattenkönigin. Von einem seltsamen Frauen-Duo ist die Rede, Frauen des gleichen Mannes, weder Schwestern noch Rivalinnen. Beide verlieren sich in einem „Wundgeflecht“, das im diffusen Schatten des polygamen Mannes eine zweistimmige Scheherazade entläßt.

Inmitten vibrierender Erzählstimmen, die zu scheu operieren, um strategische Kämpfe um Einfluß und Macht erzählen zu können, wird von der Reue der einen und von den Ängsten der anderen erzählt. Die erste fühlt sich für die andere verantwortlich, da sie sie als Nebenfrau für ihren Mann erkor, um den Ehemann zu einem Geliebten zu machen. Die andere geht „nackt“, d. h. ohne Gesichtsverhüllung, durch Straßen und Parks.

In den beiden zuletzt erschienenen Büchern wird die Frauenthematik mit der islamischen Tradition und der politischen Geschichte Algeriens verknüpft. In Fern von Medina (1991) begibt sich die Autorin auf die Spurensuche nach Frauen in islamischen Chroniken, die oft nur mit einem Satz Einzug in die Überlieferung fanden. 17 Frauen verleiht sie eine neue Kontur.

Poetisch und unterhaltsam erzählt sie von ihren Abenteuern in den Jahrzehnten vor und nach Mohammeds Tod. Dabei paart sich die omnipräsente Ehrfurcht vor den tradierten Texten mit der unnachgiebigen Spurensuche nach femininen Hinterlassenschaften, denn „die Überlieferer neigten schon aus Gewohnheit dazu, jegliche weibliche Präsenz zu verbergen“. Djebar betreibt keine literarische Demontage Mohammeds, verurteilt vielmehr die „maskulinen“ Inszenierungen der Macht nach dessen Tod.

Heute wird Djebar aus ihrem neuen Buch Weißes Algerien lesen, einer Totenmesse in Lebensbildern. Wieder verleiht sie abwesenden Personen eine neue Stimme und liefert darüber hinaus ein Panorama der Gewaltgeschichte Algeriens. Stefan Pröhl Literaturhaus, 20 Uhr