Alles Mörder, oder was?

■ Das Schmidt-Theater übt sich mit „Scherenschnitt oder Mord im Frisiersalon“ im Mitspielen

Jeder ist so verdächtig wie es eben nur irgend geht. Jeder Augenaufschlag, jede linkische Geste, jede heruntergefallene Schere ist ein Indiz, fast ein Beweis: Die Leute hier haben alle ein schlechtes Gewissen. Wer weiß schon, wer von den Herrschaften in Meister Wuttigs Salon den Mord an der penetrant laut spielenden Konzertpianistin aus dem Obergeschoß zu verantworten hat. Meister Wuttig (Corny Littmann) könnte es in seiner Wut ebenso gewesen sein, wie die leicht zwielichtige Elbvorortlerin Wundhammer (Kerstin Mäkelburg), der schmierige Antiquitätenhändler und Ranschmeißer (Dirk Voßberg) oder die schlunzige, leicht fahrige Friseurgehülfin Elisa (Claudie Gáldy). Kommissar (Uli Pleßmann) und Assistent Harry (Martin Lingnau) sind gleich so durcheinander ob dieser allseitigen Finsternis, daß sie das Publikum um Hilfe bitten müssen. So viele Zeugen gibt es schließlich bei einem Verbrechen sonst nur ganz, ganz selten.

Regisseur Thomas Matschoß, der mit Scherenschnitt oder Mord im Frisiersalon einen stark frisierten Theaterknüller aus den 60er Jahren auf die Bretter am Spielbudenplatz brachte, ging den Weg des Plakativen. Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt, und das Grobschlächtige des ersten Teils frisiert schon manchmal am plumpen, reinen Klamauk vorbei. Seine Hand und die Arbeit mit dem Ensemble zeigt sich dann paradoxerweise besonders im zweiten Teil sehr schön. Paradoxerweise, weil der ja eigentlich der Teil ist, an dem es kein „Theater“ im üblichen Sinn mehr gibt und jeder – im Verlauf der „Rekonstruktion“ mitsprechen, mitdenken kann und soll. Hier wird die Improvisationsarbeit deutlich, die das neue Schmidt-Theater-Ensemble geleistet hat, und die ist beträchtlich. Keiner der Akteure ist um ein Reparté verlegen – und die Dialoge, die auf diese Weise zustande kommen, sind oft sogar witziger als die stark kiezfrisierten Dialoge im Stück.

Hier zeigt sich die wunderbar komödiantische Ader von Darstellern wie Claudia Gáldy, Kerstin Mäkelburg oder Dirk Voßberg am unverstelltesten. Und Uli Pleßmann als Kommissar zeigt deutlich sein hervorragendes Geschick, das Publikum zum Mitmachen zu bewegen, ohne je auch nur den geringsten Hauch von Peinlichkeit aufkommen zu lassen.

Was als durchaus auch witzige Kriminalklamotte begann, erhält hier eine ganz eigene Richtung und Spannung, und den Witz echter kleiner Geniestreiche, wie meist nur der Zufall eines Augenblicks sie hervorbringt. Und das paßt, in einem Stück, in dem auch der Mörder des Abends nur durch das Zusammenspiel von Zufällen und Publikum entschieden wird.

Thomas Plaichinger

Bis 27. Mai im Schmidt, nicht täglich