■ Steigern Cheeseburger die Verbrechensrate?
: Wenn die Bremse versagt

Der Glaubenskrieg ums Junk food hat im Laufe der Jahre immer groteskere Ausmaße angenommen, und die Anzahl der Kleinstfraktionen ist kaum noch zu überschauen. Jetzt bekommt die alte Debatte mal wieder neue Nahrung. Das britische Magazin Gentlemen's Quarterly (GQ) referiert in seiner aktuellen Ausgabe, der „Summer style preview“, eine Position, die amerikanische Kriminologen und Neurochemiker mittlerweile verstärkt vertreten. „Junk food macht kriminell“, lautet sie zusammengefaßt. Ihre vehementesten Verfechter argumentieren, es sei kein Wunder, daß das fastfoodkulturell weltweit führende Land auch die jährlich bei weitem höchste Mordrate aufweise.

Daß es einen Zusammehang geben soll zwischen Ernährung und ungesetzlichem Verhalten, mutet auf den ersten Blick skurril an – neu ist die These allerdings nicht. Schon in den siebziger Jahren strich die Bewährungshelferin Barbara Reed aus Ohio Zucker, Weißmehlprodukte und Kaffee vom Speiseplan ihrer Schützlinge, verordnete ihnen statt dessen Obst, Gemüse, Müsli und Kräutertee. Offensichtlich mit Erfolg: Sämtliche 252 Probanden standen danach nie wieder vor Gericht.

Dieses unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zwar nicht beweiskräftige, aber immerhin anekdotisch interessante Ergebnis rief Stephen Schoenthaler auf den Plan, einen Kriminologen der California State University. Er initiierte – zum Teil begleitet von Protesten der Lebensmittelindustrie – fortan ähnliche Experimente. Schoenthaler glaubt, der chronische Mangel an Eisen, Zink, Magnesium und anderen Nährstoffen trage dazu bei, dem Körper jene chemische Energie zu entziehen, die das Gehirn benötigt, um effizient zu arbeiten. Tritt eine „Energiekrise“ ein, werde der kärgliche Rest dazu verwendet, Herzrhythmus und Atmung zu kontrollieren; die Wahrnehmung jedoch könne in so einer Phase aus den Fugen geraten. Andere Wissenschaftler gehen davon aus, daß schlechte Ernährung das Serotonin-Level herabsetze. Serotonin, so GQ, funktioniert in unserem zentralen Nervensystem als „Bremse“. Dieser Transmitter zügelt zum Beispiel unseren Appetit, und er sorgt dafür, daß unser Sexualtrieb und unsere Aggressionen nicht außer Kontrolle geraten. Bei Laborversuchen hat man bereits festgestellt, daß Menschen zu impulsiver Gewalt neigen, wenn man ihren Serotonin-Level künstlich reduziert.

Der GQ-Artikel, flankiert u.a. von einem Fußballquiz und einer Geschichte über die „nächste Generation“ der Hollywood-Starlets, ist aufgrund seines Detailreichtums zwar interessant. Andererseits: Daß Menschen, die aus sozialer Not das Gesetz brechen, sich nicht besonders gut ernähren, ahnt man ja nicht erst seit gestern – wer kaum Geld hat, investiert wenig ins Essen und hält Junk food womöglich für preiswert, obwohl es, das Preis-Leistungs-Verhältnis zugrunde gelegt, sauteuer ist. GQ betrachtet also einen potentiellen Aspekt sozialen Elends isoliert, und das ist selten hilfreich. Außerdem faßt der Text den Begriff Gewalt viel zu eng. Wie ist es zum Beispiel um den Ernährungsstandard von Soldaten bestellt? Wird der etwa absichtlich niedrig gehalten, damit sie um so mordlustiger zu Werke gehen? Immerhin wäre das eine Erklärung für das notorisch schlechte Essen bei der Bundeswehr.

Sicher ist zumindest, daß von der Diskussion um den Zusammenhang zwischen Ernährung und Kriminalität jene Frau profitierte, die das Ganze in Gang gebracht hat: Barbara Reed ist vom Staatsknecht zur Unternehmerin aufgestiegen. Die einstige Bewährungshelferin leitet heute eine Vollwertbäckerei. René Martens