Greise Käufer

■ Ignoriert oder lächerlich gemacht: Der Münchner Werbegipfel diskutierte über die Rolle der Alten im Fernsehen

München (taz) – Einer brabbelt vor sich hin, ein anderer schwingt tattrig den Schneidbrenner. Können die Teilnehmer dieses lustig-schrulligen Bankräuberkränzchens überhaupt noch ihr Wasser halten? Sie können noch viel mehr. Nachdem die rüstigen Rentner- Ganoven den Tresor aufgesprengt haben, verlassen sie, die Beute in Oma-Handtaschen säuberlich verstaut, den Tatort am Stock.

Mit dieser Szene wirbt ein Unternehmen um Kunden für seine Lebensversicherung. Derartige Beispiele für die Darstellung älterer Menschen in der Werbung gibt es viele. Alte werden im Fernsehen entrechtet, ignoriert oder lächerlich gemacht. „Eine vergessene Generation?“ fragte deshalb eine Diskussionsrunde auf dem Münchner Werbegipfel 1996.

Ausgangspunkt war eine für die Werbetreibenden peinliche Analyse der aktuellen Situation. Hans Wilhelm Jürgens von der Universität Kiel hat die stereotypen Muster der Senioren-Darstellung in zwei öffentlich-rechtlichen und drei privaten Fernsehsendern untersucht. Ergebnis: Obwohl die über 60jährigen in unserer Gesellschaft einen Anteil von 20 Prozent stellen, sind sie auf der Mattscheibe deutlich unterrepräsentiert. Nur jeder zehnte dort ist ein Senior. Das Verhältnis von Männern und Frauen liegt bei 3:1, womit die realen demographischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden.

„Normale“ alte Menschen gibt es in der Fernsehwerbung praktisch nicht. Häufigster Typus ist der Clown („It's cool, man!“: 25 Prozent bei Männern, 5,6 Prozent bei Frauen), es folgt der (noch) Berufstätige („Ich bin siebzig, aber ich habe die Kraft der zwei Herzen“: 15,1 Prozent bei Männer, 8,9 Prozent bei Frauen), an dritter Stelle der Großvater („Werthers Echte“: 5,3 Prozent) oder die Großmutter (6,2 Prozent).

Die Ausgrenzung alter Menschen in der Werbung ist ein spezifisch deutsches Problem. In den USA wirbt ein graumelierter Tennisspieler für ein Medikament gegen Blähungen. Bildunterzeile: „Seit ich das Zeug nehme, spiele ich noch besser.“ Das gleiche Mittel vertritt in Deutschland eine alte Frau mit Dutt, die sich den Bauch hält. Unterzeile: „Es hilft.“

Obwohl alte Menschen, so Jürgens, viel Geld haben und dieses auch gerne ausgeben würden, werden sie von der Werbewirtschaft nicht berücksichtigt. So werden von den Privatsendern Programme, die Senioren verstärkt einschalten, auch bei hoher Quote aus dem Programm gekippt.

Dieser Trend scheint sich nun als Fehlentscheidung zu entpuppen. Michael Wölfle von der MGM MediaGruppe, verantwortlich unter anderem für Pro 7 und den Kabelkanal: „Wir sind alle auf Helmut Thoma hereingefallen. Der hat in den letzten Jahren vehement die Jugend propagiert.“ Ein willkürlicher Jugendkult? Thoma, zwar geladen, ließ sich in der Diskussion vertreten. Sein Geschäftsführer Peter Hoenisch, selbst über 60, bleibt dabei: „Die Werbekunden zahlen nicht für die alten Zuschauer. Deswegen haben wir uns zunächst mit den Jungen beschäftigt. Das ist ein Zwang, der durch die Werbung auf uns drückt.“

Die Argumentation der Werbewirtschaft: Jugendliche sind schneller zu erreichen, weil sie einen Werbespot gleich verstehen. Alten Menschen müsse man den Spot kostenintensiv mehrmals vorführen. Außerdem hätte es keinen Sinn, um greise Käufer zu buhlen. Die tauschten, glauben die Werbeagenturen, ein altvertrautes Produkt nicht mehr gegen ein brandneues.

Irrtum. Eine Studie im Auftrag der bayerischen Rundfunkwerbung hat ergeben, daß nur 31 Prozent der Menschen über 50 neuen Produkten gegenüber weniger aufgeschlossen sind. Die Werbetreibenden gehen von 61 Prozent aus. Diese Diskrepanz zwischen Fremd- und Eigenbild bröckelt allerdings zunehmend.

Eine Trendwende im Fernsehen? Immerhin: Schon gibt es eine spezielle Nivea-Creme für die „reife Haut“, beworben von einer attraktiven, lebensfrohen Frau in den Fünfzigern. Und auch Hoenisch von RTL hätte nichts gegen das Interesse der Wirtschaft an den Senioren einzuwenden: „Die Alten sollen nur kommen, dann verdienen wir noch mehr.“ Stefan Kuzmany