■ Wider den Neoliberalismus, der den sozialen Kahlschlag zur Tugend und den Unternehmer zum neuen Gott erklärt
: Apokalyptiker der Marktwirtschaft

Neulich, in Wien, im Café Lapinsky: Da sitzt der Cafetier, ein wohlsituierter Herr, mit seinen Gästen. Wild diskutiert man die politische Lage, die nur noch als wirtschaftliche wahrgenommen wird: Ob die Staatsverschuldung überborde, der Sozialstaat nicht mehr zu finanzieren, das rigide Sparprogramm der Regierung notwendig sei – wer dagegen argumentiert, hat schon verloren.

Dann fällt, nebenbei hingesagt, der Satz, der den Einschnitt markiert: „Das erste Mal seit Jahrzehnten“, sagt einer der Diskutanten, „steht heute eine Erwachsenengeneration in Arbeit, die weiß: ,Unseren Kindern wird es schlechter gehen als uns.‘“

Sicherlich, es mag ein Hauch von demokratischer Weisheit darin begründet sein, daß Bürger und Wähler ein Einsehen in die Grenzen der Finanzierbarkeit des Sozialstaates haben. Doch im ganzen möchte man es schon eine perverse Lust nennen, die die Leute dazu treibt, einem Diskurs zu applaudieren, dessen Chor immer deutlicher erschallt: Wir müssen sparen, sparen, sparen; die Löhne müssen fallen, fallen, fallen. Alles muß anders werden.

Spürbar wandelt sich auch die Sprache. Früher gingen die Leute vernünftigerweise noch davon aus, ihnen würde etwas weggenommen, wenn davon die Rede war, der Staat müsse sparen. Doch in der neuen Rede, die nun hochkommt, wird vom Staat wie einem Unternehmen gesprochen – Sparen wird mit Rationalisieren gleichgesetzt. „Während das Opfer immer ein Defizit bleibt“, schreibt die Wiener Philosophin Isolde Charim, „ist es hier gelungen, Sparen positiv zu besetzen.“ Nun darf jeder teilhaben am Sparen, in seinem eigenen Umfeld. Zwar waren jene, die angeblich faul im sozialen Netz wie in einer Hängematte ausspannen, schon seit längerem Gegenstand wüster Kampagnen – doch waren früher, wenn von Mißständen die Rede war, eher nicht legitimierbare soziale Unterschiede und Disproportionen in der Verteilung von Zukunftschancen gemeint. Schleichend findet nun eine Umcodierung statt, „deren Erfolg auch daran abzulesen ist, daß mit ,Mißstand‘ nicht Ungerechtigkeit, sondern Verschwendung gemeint ist“ (Charim). Mit der Sprache verschiebt sich die Wahrnehmung. Wenn früher ein Unternehmen einige tausend Arbeitnehmer entlassen hat, dann markierte dieser Fakt eine Krise oder schwere Fehler des Managements in der Wirtschaftsführung. Nun ist das Gegenteil der Fall. Personalabbau zeugt von erfolgreicher Wirtschaftsführung.

Vor wenigen Jahren hatten wir – in ideologischer Hinsicht – eine zumindest tripolare Welt: Marxismus, Keynesianismus, Neoliberalismus. Der Marxismus trat mit den realsozialistischen Gesellschaften von der Weltbühne, der Keynesianismus mit dem Nationalstaat als makroökonomischem Handlungsraum. Was blieb? Der Neoliberalismus, dieses mißratene Kind der Globalisierung. Die Politik hinterläßt das sprachlos, immerhin die Denker befremdet's: „Dem globalen Räuberkapitalismus wächst bislang kein globaler Sozialstaat nach“, beklagte jüngst der Philosoph Hauke Brunkhorst bei einer Tagung des „Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen“ in Essen. Seine Frankfurter Kollegin Ingeborg Maus sekundierte: „Ein politisches Zentrum ist nicht mehr auszumachen. Die Politik verhält sich wesentlich reaktiv.“

Was als Modernisierungsdiskurs begonnen haben mag, schlägt nun um, in Zerstörungswut. Das neoliberale Jubelgeschrei gerät ins Apokalyptische. Eine Übertreibung? Wer das meint, der lese, was so vor ein paar Jahren undenkbar in einem einigermaßen relevanten Presseerzeugnis geschrieben hätte werden können.

Ein bemerkenswertes Dokument unserer Zeit. Der Titel: „Die Systemveränderer“. Ein bloßer Kommentar, unlängst erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Sie schwenken keine Mao-Bibeln und keine roten Fahnen (...) Sie halten nichts vom Kommunistischen Manifest, aber viel vom Kapital (..) Sie sind die Systemveränderer unserer Tage.“ Der Umwälzungspathos hebt noch weiter an: „Sie verbindet nur eines: die Entschlossenheit zum Wandel.“ Die Rede ist von Unternehmern und Managern. Was ist deren Aufgabe? „Gesellschaften von innen heraus zu revolutionieren“.

Unerhört und ungehört. Doch irgendwie weckt der Ton Erinnerungen an Dagewesenes. Erinnert an jene irre gewordenen Eliten, die am Ende der Weimarer Republik kaum gemeinsame Ziele hatten, außer dem einen: Die Zerstörung einer Zivilisation, deren Ende sie kommen spürten.

Ernst Jünger hat in seinem Großessay „Der Arbeiter“ die Masse der industriellen Arbeiter als jenen neuen Menschenschlag erkannt, dem die „technische Mobilisierung der Welt“ zukäme. Dem steht die laue Bürgerwelt gegenüber. Jünger: „Es sind zwei Menschenschläge, von denen man den einen um jeden Preis verhandlungsbereit, den anderen um jeden Preis kampfbereit erkennt.“

Es mag als ironische Volte der Geschichte erscheinen, daß aus Jüngers Kampffigur, dem Arbeiter, in der FAZ 1996 der Unternehmer wird. Ansonsten gleicht sich das Argumentationsmuster aufs Haar. Zwei Menschenschläge werden gegeneinander gestellt. Nun steht der Unternehmer gegen die korporatistische Bürokratennatur, zu der heute wie selbstverständlich Gewerkschaften und verhandlungsbereite Arbeitgeber gehören.

Und wie zu Jüngers Zeiten läßt der schwüle Pathos auch heute nur den einen, dezisionistischen Schluß zu: Dieser Kampf wird mit keinem Kompromiß beendet.

Das Paradoxe ist nun aber, daß derlei Ideologeme sich just mit dem Mäntelchen des Pragmatismus schmücken, Sachzwänge ins Treffen führen, wo in Wahrheit ein Dogmatismus wütet, der im Grunde nur noch mit politisch-theologischen Begriffen zu fassen ist. Hier hebt eine Heilserwartung an, die messianisch und apokalyptisch zugleich ist. Eine Heilserwartung an ein Reich, das nicht von dieser (sozialstaatlichen) Welt ist, auf ein Reich Gottes, dessen Errichtung einer Katastrophe bedarf.

Diese Lust an der Apokalypse wurzelt tief in der abendländischen Kultur. Schon der Apostel Paulus vertraute darauf: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen von dem Schlaf, denn jetzt ist das Heil uns näher als zur Zeit, da wir gläubig wurden.“ (Römerbrief, 8.10).

Unsere neoliberalen Apokalyptiker wissen, wo Gott wohnt: in den Konzernetagen. Diese Ideologen mögen für ihre Denkmodelle ins Treffen führen, was sie wollen: Aber bitte keinen Pragmatismus, der so tut, als orientiere er sich an angeblichen Zwängen der äußeren Welt. Robert Misik