Kaum Aussicht auf baldige Heimkehr

■ UNHCR: 70 Prozent aller bosnischen Flüchtlinge und Vertriebenen kehren vermutlich nie in ihre Heimat zurück

Genf (taz) – Mehr als 70 Prozent der rund 2,5 Millionen bosnischen Flüchtlinge und Vertriebenen werden nicht an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückkehren, wenn die ethnische Teilung ihres Heimatlandes nicht überwunden wird. Diese pessimistische Einschätzung äußerten gestern in Genf hochrangige VertreterInnen des UNO- Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), die ihre Chefin Sadako Ogata vergangene Woche auf einer Erkundungsreise durch Bosnien begleiteten. Die Hochkommissarin selbst wollte sich am Spätnachmittag auf einer Pressekonferenz äußern.

Während ihrer sechstägigen Erkundungsreise war Ogatas Delegation zu Gesprächen mit lokalen und regionalen Politikern aller drei Volksgruppen zusammengekommen. Die bei diesen Gesprächen gewonnenen Eindrücke faßte ein hochrangiges Delegationsmitglied so zusammen: „Die Botschaft, die wir zu hören bekammen, ist klar: Die internationale Staatengemeinschaft will die Rückkehr der Flüchtlinge, die bosnischen Volksgruppen lehnen sie ab.“ Die Unterbringung der Flüchtlinge stellt hierbei das größte Problem dar.

Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens im Dezember 95 lebten laut UNHCR rund 700.000 bosnische Flüchtlinge im europäischen Ausland (die Hälfte davon in Deutschland), rund 800.000 in Kroatien, Serbien und anderen exjugoslawischen Republiken sowie annähernd eine Million als Vertriebene innerhalb der bosnischen Grenzen. Von diesen 2,5 Millionen Menschen sind bis Anfang Mai erst rund 70.000 in ihre früheren Heimatorte zurückgekehrt – mit ganz wenigen Ausnahmen in Regionen, in denen ihre jeweilige Volksgruppe die Mehrheit stellt. 70 Prozent aller Flüchtlinge und Vertriebenen stammen jedoch aus Gebieten, in denen die ethnischen Mehrheitsverhältnisse seit Kriegsbeginn im April 92 verändert wurden oder die heute zum jeweils anderen Teilstaat Bosniens gehören. Mit ihrer Rückkehr in Regionen, in denen sie künftig zur ethnischen Minderheit gehörten, ist nach Einschätzung der UNHCR unter den derzeitigen Umständen nicht zu rechnen. Die im Dayton-Abkommen garantierte „Bewegungsfreiheit“ in ganz Bosnien existiere bislang nur auf dem Papier. Die Muslime seien noch am ehesten bereit, in mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten die Rückkehr von Kroaten und Serben zuzulassen, berichteten UNHCR-Vertreter.

Die Planzahl von 900.000 Rückkehrern bis Ende 1996, zu der sich Sadako Ogata auf einer UNHCR- Konferenz Mitte Januar in Genf von Bundesinnenminister Manfred Kanther und seinen europäischen Amtskollegen hatte drängen lassen, ist nach Einschätzung der Delegation „völlig unrealistisch“. Maximal sei bis Ende des Jahres mit einer Rückkehr von 250.000 Menschen zu rechnen. Vor VertreterInnen humanitärer Organisationen äußerte Ogata gestern die Hoffnung, daß die für den 14. September geplanten Wahlen in Bosnien einen Durchbruch für eine „interethnische Rückkehr“ von Flüchtlingen und Vertriebenen bringen könnten. Die Hoffnung „zumindest auf die Gewährung beschränkter interethnischer Rückkehrmöglichkeiten“ besteht nach Einschätzung eines hochrangigen Mitglieds der UNHCR-Delegation jedoch nur, wenn bei diesen Wahlen demokratische Oppositionskräfte gut abschneiden. Die Aussicht hierauf ist bisher allerdings äußerst gering – vor allem in der Serbischen Republik. „Wenn aber diejenigen, die diesen Krieg begonnen haben, auch die Wahlen gewinnen“, so der UNHCR-Vertreter, „können wir einpacken und nach Hause gehen.“ Andreas Zumach