Staatsdiener wollen keine Nullen sein

■ Entscheidende Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst: Gewerkschaften drohen mit Streiks und Aktionen

Stuttgart (dpa/AP/taz) – Provozieren die öffentlichen Arbeitgeber mit der von ihnen geforderten Nullrunde einen Streik? Gestern verhandelten Gewerkschaften und Arbeitgeber in der entscheidenden dritten Runde. Am späten Nachmittag war noch keine Einigung in Sicht. Im Gegenteil: Gewerkschaftsvertreter erklärten in Stuttgart, die Fronten hätten sich weiter verhärtet. Die Arbeitgeber hätten immer noch kein konkretes Angebot vorgelegt. Der Chef der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Herbert Mai, sagte, die Verhandlungen drehten sich im Kreis. ÖTV und DAG haben mit bundesweiten Warnstreiks für den Fall gedroht, daß die Gespräche erneut ergebnislos bleiben sollten.

Gestern legten bereits rund 1.000 Postmitarbeiter in Saarbrücken, Heidelberg, Berlin und Magdeburg zeitweise die Arbeit nieder. In Nürnberg und in Lünen bei Dortmund demonstrierten Hunderte Mitarbeiter von Kliniken, Sparkassen und der Stadtverwaltung gegen das Bonner Sparpaket. Bei der Post verlangen die Gewerkschaften ebenso wie im öffentlichen Dienst eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent, die Arbeitgeber dagegen wollen die Arbeitszeit verlängern, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall die Überstunden nicht mehr berücksichtigen und Abschläge von Weihnachts- und Urlaubsgeld bei Abwesenheit erreichen.

Für Verwirrung sorgte ein Interview des DAG-Vorsitzenden Roland Issen, der ein Mindestziel von ungefähr zwei Prozent oder etwas darunter für seine Organisation nannte. Issen ließ dies in Stuttgart von einem Sprecher dementieren.

Noch in dieser Woche starten die Gewerkschaften eine bundesweite Kampagne gegen das Bonner Sparpaket. Mit fast sieben Millionen Flugblättern, Broschüren und Plakaten will der DGB die Bevölkerung mobilisieren. Die Pläne von Regierung und Arbeitgebern seien „eine Kampfansage an uns alle“, heißt es in einem gestern veröffentlichten Aufruf. „Macht Front gegen dieses Programm der Ungerechtigkeit und des Sozialabbaus. Leistet mit uns Widerstand“, heißt es in einem Flugblatt. Die Pläne der Bundesregierung seien „gnadenlos ungerecht“. Zugleich wollen die Einzelgewerkschaften die Beschäftigten zu Aktionen bis hin zu Warnstreiks aufrufen. Daneben sind auch Großkundgebungen oder Massenaktionen, unter anderem in Bonn, im Gespräch.

Das Sparprogramm der Bundesregierung wird nach Berechnungen des DGB die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 nicht wie vorgesehen halbieren, sondern sogar erhöhen. Es werde dann 385.000 mehr Arbeitslose geben, sagte das DGB-Bundesvorstandsmitglied Michael Geuenich. Der DGB schlägt deshalb ein Alternativprogramm vor, nach dem die Arbeitszeit jährlich um zwei Prozent gesenkt werden soll. Das könne über kürzere Wochenarbeitszeit, vermehrte Teilzeitarbeit, Überstundenabbau und phantasievolle Gestaltung der Arbeitszeiten erreicht werden, sagte Geuenich. Zudem müsse es eine europäisch abgestimmte Wachstumsinitiative geben. Dabei gehe es vor allem um mehr Investitionen in den Umweltschutz sowie in Verkehrs-, Daten- und Energienetze. Die Einkommen der Arbeitnehmer müßten mittelfristig die Preissteigerung ausgleichen und darüber hinaus am Produktivitätsanstieg teilnehmen, um die Kaufkraft zu stärken. Schließlich müsse die Bundesbank die Zinsen konsequent niedrig halten.

Zur Finanzierung des gewerkschaftlichen Alternativprogramms schlug Geuenich vor, den Solidaritätszuschlag und die private Vermögenssteuer beizubehalten, mit Stichprobenkontrollen bei Banken eine bessere Zinsbesteuerung zu erreichen sowie die Erbschaftssteuer zu erhöhen. klh