Schmetterlinge im Cyber

■ Der Techno-Pop von Orbital zwischen Ökologie und Technik-Affirmation

Der Merchandising-Karton setzt Zeichen. In Zellophan eingehüllte Plastikkarten als Diskographie, in Zellophan eingeschweißte Band-Infos und in Zellophan eingetütete Videos tauchen auf. Da wird eine Materialschlacht veranstaltet, die nichts mit Ökologie zu tun hat, viel aber mit blendender, blinkender Technik-Affirmation. Auf der anderen Seite aber agitieren Orbital auf dem CD-Booklet gegen den CO-Ausstoß und nahmen den ersten Track ihres neuen Tonträgers In Sides mit Hilfe von Cyrus auf, dem mobilen Solar-Generator von Greenpeace, deren Londoner Adresse aufgeführt wird.

Wie jedes Jahr sind Orbital mit neuem Album und der neuen Single The Box aufgebrochen, die Charts zu stürmen mit ihrem massentauglichen Techno-Pop, der an beliebige progressive Issues andockt, wie zuletzt anläßlich der Benefiz-Platte für bosnische Kinder. Das kennt man ja von alternden Pop-Stars. Doch bei Orbitals Technik-Begeisterung ergibt sich eine besonders verquaste Mischung, die Gegensätzen standhalten muß.

Doch in diesem Jahr wollen die Gebrüder Hartnoll ganz geliebt werden. Waren die bisherigen Platten, die in guter Beatles-Tradition als grünes und braunes Album bekannten Debut-Alben und Snivilisation, als Träger für ihre jeweilige Hit-Single noch Zugeständnisse an die Verwertungs-Gesetze der Pop-Branche, so ist In Sides entgegen dem Titel aus einem Guß.

Das Duo, das sich nach der Londoner Stadtautobahn benannte, fertigte eine fast schon geschmäcklerische Trance-Platte, die, ohne ausgesprochen avanciert zu sein, in düsteren Soundscapes stapft. Geschickt verwerten sie aber Errungenschaften abstrakter Electro-Patterns, Sound-Schwaden und Hochtöner zu einem kontrollierten Fest der Töne.

Live werden die beiden Grubenmänner mit auf die Brille montierten Leuchtstiften durch das Dunkel führen. Wenn sie über Kabel, Regler und Sequenzer walten, wird man kaum mehr als jeweils zwei Leuchtpunkte ausmachen, die die glatzköpfigen Brüder zu stoisch agierenden Androiden mutieren lassen. Bei der 94er Tower Tour standen sie dabei auf einem Turm aus Stahlträgern, der, in der Mitte der Halle aufgestellt, die gewöhnliche Platz-Verteilung von Publikum und Star aushebelte.

Ansonsten gibt es Video-Installationen und Lichtkörper satt. Mächtige Video-Leinwände werden aufgebaut, über die die übliche Symbolik aus Frequenzwellen und geschlechtslosen Teilchen, die sich immer wieder auflösen, flimmern. Hinzu kommen, wenn Schmetterlinge und Blumen durch den Cyberspace torkeln noch Metaphern einer bedrohten Natur, die nurmehr technisch generiert werden kann.

Volker Marquardt Di, 21. Mai, 21 Uhr, Kampnagel