Ein Leben mit viel zu wenig Erinnerungen

■ Der Gefängnis-Film Murder in the First klagt die Isolationshaft in Alcatraz an

Murder in the First ist ein Gefängnisfilm. Und er spielt in Alcatraz. Alcatraz ist einer dieser Orte, an denen man sich nicht arglos nach Seife bückt. Doch darum geht es hier nicht. Es geht um Henry Young, einen Häftling an eben jenem unwirtlichen Ort, und dessen Probleme haben andere Dimensionen.

Mit 16 Jahren wird Henry Young (Kevin Bacon) verhaftet. Eltern- und mittellos hat er versucht, in einem Drugstore, gleichzeitig ein Postamt, fünf Dollar für sich und seine kleine Schwester zu stehlen. Wie sich herausstellt, ist sein Leben danach kaum noch diesen Betrag wert. Er hat gegen Bundesgesetze verstoßen und das wird hart bestraft. Als ob das nicht genug des grotesken Mißverhältnisses wäre, führt ein verratener Ausbruchsversuch zu drei Jahren qualvoller Isolationshaft. An deren Ende steht dann ein Mord. Henry Young tötet seinen Verräter. Nach dem Willen der Justiz ist damit sein Todesurteil besiegelt.

Auf der anderen Seite steht der junge Anwalt James Stamphill (Christian Slater), der mit Henry Youngs Fall seine Meriten verdienen wird. Auch er hat als Kind fünf Dollar gestohlen. Und wird von seinem Bruder ermahnt, es nicht wieder zu tun.

Murder in the First setzt mit dem Ausbruchsversuch ein, den Rest erfährt man erst später. Und das ist gut so. Denn die erste Hälfte zeigt die versuchte Vernichtung einer menschlichen Existenz durch Einzelhaft. Er sitzt in einem dunklen Verlies mit kaum genug Platz, sich auszustrecken und wird sadistisch gefoltert. Henry hat zu wenig gelebt, um sich mit Erinnerungen über Wasser zu halten, und darf einmal im Jahr für eine halbe Stunde auf den Hof, aber nur wenn er sich benimmt.

Auf diese Weise entgeht der Film der fatalen Argumentation, nur das geringe Vergehen mache diese Praxis verwerflich. Die Tortur steht für sich, und wenngleich die Darstellung in ihrem Schrecken manchmal die Grenze zur Glaubwürdigkeit streift, ist da doch immer noch das berührende Spiel von Kevin Bacon, das jederzeit in der Lage ist, das menschliche Drama präsent zu halten.

Das Prinzip des Films ist ein bekanntes. Es sind die Umstände, die einen Menschen prägen, keiner ist zum Mörder geboren. Und keiner zum Anwalt. Das wird dann schließlich ausgiebig vor Gericht diskutiert und insbesondere die Chancengleichheit in der amerikanischen Gesellschaft in Frage gestellt. Selbst wenn der bisweilen etwas gespreizt inszenierte Film damit ausgetretene Pfade beschreitet – das Kapital der ersten Hälfte wird nicht verspielt. Sven Sonne Aladin, City, Grindel, Neues Broadway