Der disco-König als Seelenstripper der 90er

■ Kammerspiele: Ilja Richter in Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf

Von „Licht aus, Spot an!“ über Gurkenfilme, Klamotten und Tingelshows zu deutscher Fernsehunterhaltung führt der kurvenreiche Weg des Ilja Richter und das kleine persönliche Wunder ist, daß der smarte Junge mit dem näselnden Ton nie das Attribut „Camp“ verloren hat. Selbst in den schlechtesten Zeiten, den 80ern, wo kaum ein Hahn nach Ilja krähte, blieb er für die Generation der disco 70ff-Kucker eine schöne Erinnerung zeitlosen Traschs.

Daß in dem Mann auch ein facettenreicher Schauspieler steckt, soll jetzt ein Gastspiel, das Ende letzten Jahres am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde und das jetzt zwei Mal an den Kammerspielen gastiert, beweisen. Richters neunzigminütiges Solo basiert auf einem Stück Bodo Kirchoffs: Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf.

Alles wartet nämlich tatsächlich auf Andrea, die sich vor dem Publikum kunstvoll entkleiden soll. Der Ansager selbst, nur für einen Sekunden-Auftritt vorgesehen, erhält durch die Verspätung der Stripperin plötzlich die Gelegenheit, selbst zu strippen – seelisch, versteht sich (oder doch mehr?).

Von den Problemen mit seiner Mama und seinen sexuellen Obsessionen, vom Fernsehen, von Psycho-Sitzungen, Selbsterklärungsversuchen und vielen anderen Dingen erzählt der einsame Ansager, während Andrea nicht kommt und nicht kommt und nie kommen wird. Und immer wieder taucht das Thema der zur Schau gestellten Erotik auf – als Angst und Verführung, als Exhibitionismus und Voyeurismus.

Pressekritiken der vorherigen Aufführungen bescheinigen Ilja Richter durchaus alle nötigen Talente, um die Aufgabe dieses Seelen-Strippers zu meistern. Und vor allem auf sein witziges Können muß er nicht verzichten. Denn Regisseur Detlef Altenbek hat aus dem Monolog keineswegs ein Lehrstück für Hobby-Psychologen gemacht. Vielmehr darf bei der bittersüß-komischen Skizze eines Jedermann gerne und viel gelacht werden, über Ilja Richter, das Stück und über sich selbst – wenn die Eigenwahrnehmung denn soweit reicht.

Till Briegleb

Diesen und nächsten Samstag, 23 Uhr, Kammerspiele