Lederstiefel und Stachelbeeren

■ Im Cuxhavener Wrackmuseum ist nicht nur Schiffsausrüstung zu sehen

Die Exponate im Cuxhavener Wrackmuseum sind auf den ersten Blick eher unscheinbar: abgetragene Seemannskleidung, rostige Konserven und diverse Alltagsartikel. Die Faszination der Dinge liegt in ihrer Herkunft, weiß Museumsleiter Peter Baltes: „Wenn es um Wracks geht, ist die Einbildungskraft der Menschen sehr groß. Für die meisten endet die vorstellbare Welt drei Meter unter der Wasseroberfläche. Darunter beginnt das Reich der Phantasie.“

Die rund 1.500 Exponate aus dem „Reich der Phantasie“ sind äußerst real. Da ist zum Beispiel das englische Minen-U-Boot „F 24“, das 1916 in der Elbmündung Minen legen sollte und dabei selbst von einer deutschen Mine getroffen wurde. In dem 1974 geborgenen Wrack fanden sich Tabakspfeifen, Ferngläser und ein Glas mit eingelegten Stachelbeeren..„Vielleicht sind es die ältesten Stachelbeeren der Welt“, erklärt Peter Baltes, während er die grauen, pelzigen Früchte vorführt. Diese banalen Alltagsdinge seien es, die die Besucher fesseln und anrühren würden.

Auch vor dem zerknautschten Lederstiefel aus dem deutschen U-Boot „U 51“ würden die Besucher länger stehen als vor den kostbaren Silberschalen, die aus dem Frachter „Vandalia“ stammen.

Die „Vandalia“ ging 1912 bei Krautsand unter und versank im Laufe der Jahre metertief im Elbschlick. Die Ladung wurde luftdicht konserviert, viele Gegenstände sind noch wie neu. So zum Beispiel ein 80 Jahre alter Anzugstoff, der immer noch locker vom Ballen gerollt werden kann. Oder Kinderspielzeug, Weinkaraffen und Damenstrümpfe, die zum Export nach Südafrika bestimmt waren.

Das Thema trifft bei vielen die romantische Ader, und davon profitiert die Stadt Cuxhaven, der das Museum gehört. Der Erfolg läßt sich an den Besucherzahlen ablesen: Jedes Jahr kommen rund 50.000 in den roten Backsteinbau, der nur im Sommer seine Pforten öffnet. Zum Vergleich: das „Museum für Hamburgische Geschichte“ hat etwa 140.000 Besucher im ganzen Jahr.

Das Museum ist das einzige seiner Art in Europa. Nur in Australien, Neuseeland und Florida gäbe es noch Museen, die sich ausschließlich mit Wracks beschäftigen, erläutert der Museumsleiter. Entstanden ist das Museum durch die Sammelleidenschaft von Baltes. Der gebürtige Bremer ist kein Historiker, sondern Seemann mit Kapitänspatent. 1968 ging er zum Zoll in Cuxhaven.

Während der Arbeiten für die Elbvertiefung lag das Bergungsschiff „Amandus“ in Cuxhaven. Die von der „Amandus“ zutage geförderten Gegenstände wanderten zunächst auf den Müll. Baltes jedoch faszinierte gerade dieser „Müll“. Zunächst hortete er nur für sich. Er begann, sich für gesunkene und verschollene Schiffe in der Deutschen Bucht zu interessieren.

Drei- bis viertausend sollen es in den letzten 200 Jahren gewesen sein.

Baltes entwickelte sich auf diese Weise zum Experten: er sammelte immer weiter und forschte in Archiven in Bremen, Hamburg, London und Kopenhagen nach der Geschichte der gesunkenen Schiffe. Schließlich interessierte sich die Stadt Cuxhaven für seine kuriose und interessante Sammlung. Sie bot dem Seemann ein Geschäft an: er sollte der Stadt die maritimen Schätze überlassen.

Dafür bekam er die alte Dorfschule in Stickenbüttel als Museum gestellt, Baltes selbst sollte als städtischer Beamter die Leitung übernehmen. Baltes überlegte nicht lange und nahm das Angebot an. 1980 wurde das Museum eröffnet.

Corinna Cohen-Cossen, dpa

Das Cuxhavener Wrackmuseum ist bis zum 5. November 1996 geöffnet.