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Ramstein vergessen

■ Auf der ILA in Schönefeld werden rund 250 Fluggeräte präsentiert. Über Bundeswehr, Eltern, Kids, Militaristen und luftige Loopings

Eberhard Müller glaubt auf alles vorbereitet zu sein. Die kürzesten Wege zu den Krankenhäusern hat man ihm vor der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA) gezeigt. Seit 1966 ist er Rettungspilot der Bundeswehr: „Wenn wir gerufen werden, ist die Kacke wirklich am Dampfen. Unser Großraumrettungshubschrauber für 36 Personen ist speziell für Brandopfer ausgerüstet. Wir waren in Ramstein, haben dort Leute gerettet, wir waren in Herborn, wo der Tanklaster in die Innenstadt gerast ist. Wir waren auch jetzt in Düsseldorf.“

Das Desaster vom Sommer 1988 in Ramstein scheint vergessen. Munter drehen Helikopter wie die Bo105 ihre Loopings und fliegen Scheinangriffe auf die Kaninchen am Rande des „Heliports East Militär“. Ein Sprecher kommentiert die den ganzen Tag über laufenden „Airshows“ aus überall installierten Lautsprechern. Mit der Fröhlichkeit eines Ansagers von Pferderennen erklärt er die Bo105: „Sie hat sich weltweit einen Namen gemacht als der beweglichste und wendigste Kampfhubschrauber. Schon auf der ILA 1972 in Hannover bewies sie ihre extreme Flexibilität im Ernstfall.“

Eltern fahren ihre Kinder im Buggy spazieren, größere haben Luftballons in der Hand, der Ernstfall einer Flugshow wirkt hier trotz des zwischenzeitlich ohrenbetäubenden Lärms unrealistisch wie eine Szene aus „Terminator“.

„Es ist einfach so“, meint Pilot Müller, „in Ramstein hat man damals den Fehler gemacht, auf die Leute zuzufliegen, das ist hier anders. Hier läuft alles parallel oder weit weg von den Zuschauern.“ Müller ist überzeugt, daß Airshows notwendig sind: „Die Leute wollen das sehen.“

20 Mark Eintritt zahlen Zuschauer der ILA '96 auf dem Südgelände des Flughafens Schönefeld, Sonderpreis für Schulklassen: pro Person 6 Mark. Minipizza gibt's für 5 Mark, Kaffee dazu gratis in Halle B beim fröhlich in Gelb-Rot gestalteten „Treffpunkt Bundeswehr“. Hier können Jugendliche ab 14 an der Verlosung von Kampfhubschrauberflügen teilnehmen. Kennen müssen sie die Namen eines Mehrzweckkampfflugzeugs mit sechs Buchstaben oder den niedrigsten Offiziersgrad der Luftwaffe, acht Buchstaben. Auf der Rückseite der Loskarten kann der Jungmann (Mädchen mit der Hoffnung auf eine gemischte Berufsarmee dürfen natürlich auch teilnehmen) seine Berufswünsche ankreuzen: „Ich interessiere mich für die Laufbahn als Offizier, Unteroffizier, in Heer, Luftwaffe, Marine, Sanitätsdienst.“

Man habe nicht direkt Nachwuchsprobleme, sagt ein Unteroffizier des Standes „Wehrdienstberatung“. Aber „Leute kann man ja immer ansprechen“. Und so steht denn auch im Kleingedruckten auf der Lospostkarte: „Wir würden Sie gern mit neuen Informationen der Nachwuchswerbung versorgen. Hierfür müssen wir Ihre Adresse speichern.“ Ganze Schulklassen, die ihren Wandertag auf die ILA verlegt haben, machen Kreuzchen.

Originelle Dinge bekommt der Reporter zu hören, wenn er Piloten oder sonstige Mitarbeiter der Bundeswehr auf ihren Auftrag anspricht. Ein Tornadopilot steht hinter einer dünnen Absperrleine vor seinem Flugzeug: „Das ist der ECR-Tornado, bekannt durch seine Einsätze im italienischen Piacenza, durch Presse, Funk und Fernsehen.“ Warum er hier stehe? „Ich bin der Meinung, daß die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was eingesetzt wird. Und dementsprechend ist es auch wichtig, das auszustellen. Denn letztlich bezahlt der Steuerzahler das ja auch alles.“ Immer wieder hört man bei den jungen Soldaten die Erleichterung heraus, nach einigen feindlosen Jahren seit Abhandenkommen des realen Raketensozialismus endlich im Ausland neue Aufgaben gefunden zu haben. „Wenn es den Wehrdienst nicht gäbe, gäbe es auch keinen Zivildienst. Und dann müßten viele soziale Einrichtungen schließen, meinen Sie nicht?“

Unter den Besuchern der ILA trifft man nicht nur Militaristen, die sich an den über 20 allein von der Bundeswehr ausgestellten Fluggeräten aufgeilen, sondern hört auch Meinungen wie die von Wolfgang Hertling: „Ich finde das völlig richtig, daß die wenigstens draußen mit ihren Plakaten stehen und protestieren. Wenn man den Krieg selbst miterlebt hat, kann man die Kriegsgeräte hier nur als abschreckendes Beispiel sehen.“

Bewaffnete Feldjäger patrouillieren auf dem Gelände. Und als wäre es die normalste Sache der Welt, reckt sich zwischen all den Kriegsfliegern ein eckiger Kasten gen Himmel. Eine Batterie Patriot-Raketen, daneben das Raketenwerfersystem Roland. Ob sie in der Lage seien, das auch vorzuführen? „Da brauch' ich 'ne Feuerleitanlage, dazu müßte ich die ganzen Flugzeuge hier erst mal wegschieben“, antwortet einer.Aber Sie könnten doch theoretisch die gegenerische MiG29, die da gerade fliegt, abschießen? „Die ist aber von uns. Und ein gegnerisches Flugzeug käme im Moment nur bis zum Mittelmeer, soviel Nato ist da unterwegs. Das da oben sind natürlich keine scharfen Raketen. Aber sonst ist das Gerät voll einsatzbereit. Das geht anschließend wieder in den Kampfverband, das ist eine von sechs Flarakgruppen (Flugabwehrraketen), wir fahren einmal im Jahr zum Amerikaner und stellen unter Beweis, daß wir damit schießen können.“ Ob er in Kauf nehme, daß dadurch Menschen sterben? „Ja selbstverständlich, wenn meine Einheit dahin geht, fahr' ich mit. Dafür bin ich Soldat und nicht Einzelhandelskaufmann.“ Andreas Becker

Die ILA geht noch bis Sonntag. Flugshows ab 10 bis circa 16 Uhr.

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