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Der Theatergalerist

■ Zebu Kluth, ab 1. Juli Leiter des Theaters am Halleschen Ufer, über Startrampen und Landebahnen, den Beirat und ein mögliches Theatertreffen der Off-Bühnen

Hundert Leute anschreiben, sie ihre Erwartungen an das Theater in einem Satz formulieren lassen und die Zitate dann zur Spielzeiteröffnung an die Hauswand projizieren. Damit man schon von draußen sieht, daß dieses Haus bestimmt kein Elfenbeinturm ist. Eine der vielen Ideen von Zebu Kluth. Der 36jährige, letzte Woche aus über 90 Bewerbern zum neuen künstlerischen Leiter des Theaters am Halleschen Ufer gekürt, entspricht so gar nicht dem, was man sich unter einem alerten Programmmacher vorstellt.

Selbstbewußt, aber kein bißchen prätentiös stellt er in Frage, ohne sich im Besitz einer Antwort zu wähnen. Voller Neugier und mit einer guten Portion Hartnäckigkeit. Die bewies er im letzten Jahr, als er gemeinsam mit einigen freien Gruppen die Sophiensäle als neue Spielstätte an Land ziehen wollte. Mit der Cliquenwirtschaft der Off- Szene, wo Sozialstatus-Erhalt oft vor der Suche nach neuen künstlerischen Wegen steht, hat er wenig am Hut. Obwohl er alle kennt. Kluth sucht statt dessen das Neue.

Dazu sollen die heiligen Hallen gründlich entrümpelt werden. Das Foyer wird ein zeitgemäßes Outfit erhalten, wenn möglich mit Bar. Außerdem will Kluth die Probebühne als zweite Spielstätte für kleinere Produktionen nützen. Ein Projekt, bei dem allerdings schon sein Vorgänger Hartmut Henne an den Klippen der Baupolizei scheiterte. Darüber hinaus sollen kleinere Räume für Proben bereitgestellt werden.

Zebu Kluth denkt nicht in Proporzmustern. Beste Voraussetzungen also für das Haus, das in den ersten drei Nach-Theatermanufaktur-Jahren sein Profil eher durch Gastspiele denn durch heimische Highlights suchte. Ausnahme war der Tanz. Die erfolgreiche Dramaturgin Gabriele Pestanli wird hier auch weiter für Kontinuität sorgen.

taz: Das Hebbel-Theater, Ihr Noch-Arbeitgeber, hat in der Vergangenheit durchaus begehrliche Blicke in Richtung Hallesches Ufer geworfen. Machen Sie daraus eine Hebbel-Dependance?

Zebu Kluth: Selbst wenn ich es wollte, ich wäre der letzte, der es könnte. Mir guckt man viel stärker auf die Finger als jemandem, der von woanders kommt. Ich denke, daß diese beiden Häuser völlig unterschiedliche Aufgaben haben. Das Hallesche ist Startrampe für freie Gruppen und das Hebbel- Theater Landebahn für internationales Theater.

Das Hebbel-Theater kümmert sich um etablierte Avantgarde aus aller Welt. Schwebt Ihnen etwas Ähnliches auf Regionalebene vor?

Wir können ja kaum Gastspiele machen. Das ist schon mal ein grundlegender Unterschied. Deshalb geht es darum, aus der Szene heraus gute professionelle Produktionen zu entwickeln.

Das Theater am Halleschen Ufer ist als zentrale Spielstätte der Berliner freien Szene nur bedingt geeignet: zu groß und zu invariabel. Die fest installierte Riesenbühne ist eigentlich nur für Tanz- und Musiktheater ideal. Außerdem hat, zumal im Schauspielbereich, fast die gesamte Off-Oberliga eigene Häuser. Was bleibt da, außer dem riesigen Pulk an Mittelmäßigkeit, für Sie noch übrig?

Das Haus kann eine wirklich große Öffentlichkeit stellen und ist deshalb gut, um Sachen in der Stadt durchzudrücken, die bis jetzt noch nicht so anerkannt sind. Zum Beispiel neuere Schauspieltendenzen. Außerdem kann es für den Tanz noch mehr tun.

Hartmut Henne, Ihr Vorgänger, hat ja vehement, aber vergeblich um einen Produktionsetat gekämpft. Und er setzte auf (künstlerisch eher fragwürdige) Quasi-Eigenproduktionen. Sie werden auch weiterhin mit den 1,15 Millionen Mark auskommen müssen, die der Senat für die reine „Bewirtschaftung“ des Hauses zur Verfügung stellt. Kann man ohne Geld neue, unbekannte Gruppen fördern?

Hennes Problem war sicher auch, daß er mit dem Beirat nicht so recht klarkam. Wenn es eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Beirat und Haus gibt, dann kann das funktionieren. Nur negativ gedacht ist es ein Problem. Ohne Zusammenarbeit liegt das ganze Prinzip der Förderung lahm.

Heißt das, daß alle mit höheren Beiträgen geförderten Gruppen bei Ihnen spielen können?

Das wäre die Optimallösung. Wenn man sich darauf einigt: Wir können in Zeiten des knappen Geldes nicht die gesamte Szene gießkannenmäßig durchfüttern, aber wir schaffen es zusammen, eine Richtung zu entwickeln, aus der heraus man versucht, eine vernünftige Förderung aufzubauen, dann kann das funktionieren.

Der Intendant als verlängerter Beiratsarm?

Oder andersrum! Wir haben dieses sehr basisdemokratische Modell, wo der Beirat aus der Szene gewählt wird. Da hat es keinen Sinn, wenn ich mich jetzt hinstelle, mit großem Wurf den künstlerischen Leiter gebe und sage: Ich stelle mir das oder das ästhetisch vor. Mit dem Ansatz kann man den Job nicht machen.

Unter den freien Kinder- und Jugendtheatern gäbe es einige, die den Saal vollkriegen würden. Die wurden in den letzten Jahren allerdings eher stiefmütterlich behandelt. Wird sich da etwas ändern?

Bedingt. Ich möchte auch Kindertheater zeigen. Aber ich halte es nicht für gut, wenn man es vormittags in andere Produktionen reinklemmt. Das Theater am Halleschen Ufer ist ein Ort für Kunst. Was immer man auch denkt, wieviel Kunst Kindertheater ist, es ist Blödsinn, es in einer fremden Dekoration zu spielen. Das wird wohl darauf hinauslaufen, daß es hin und wieder einen Block mit Kindertheater geben wird.

Der grundsätzliche Ansatz ist, den Gruppen die besten Möglichkeiten zu geben. Das kann das Haus leisten, und das muß man wesentlich ernster nehmen. Es hat keinen Sinn, Mittelmäßigkeit noch dadurch zu fördern, daß man die Gruppen unter einen irren Druck stellt, ihnen wenig Bühnenraum gibt und die Sachen so hintereinanderweg durchzieht. Das hilft den Gruppen nicht, dem Publikum nicht, der Qualität nicht und bringt im Zweifelsfall auch nicht so viele Mehreinnahmen, daß man damit zum Produzenten werden könnte.

Unterhalb der First-class- Ebene finden in Berlin kaum Gastspiele freier Gruppen statt. Vielleicht ist dies mit ein Grund, daß die heimische Szene nicht unbedingt durch Innovationsfreudigkeit glänzt...

...die es zu entwickeln gilt...

Wäre das Theater am Halleschen Ufer nicht ein Ort für Leistungsvergleich und Impulsaustausch?

Das kann ich mir nicht leisten. Die paar Möglichkeiten, die das Haus hat, sind erst mal für die Berliner Szene da. Andererseits haben wir zum Beispiel angedacht, im Rahmen des Theatertreffens zusammen mit der Festspiele GmbH bei uns Off zu bringen. Wenn die Festspiele das finanzieren können, auch gern bundesweit. Mit einer jungen Jury. Außerdem möchte ich verstärkt Austauschsachen machen, die Szene zusammenbringen, wie es schon ansatzweise im Tanzbereich passiert ist.

Also Gastspiele durch die Hintertür?

Wenn man so will. Aber in beide Richtungen. Ich kriege Sachen, aber ich kriege auch Sachen aus der Stadt raus, die anderswo gezeigt werden. Durch das Kennenlernen und Verknüpfen von Fäden kann man dieses In-einer-Szene- Hocken ein bißchen aufbrechen. Damit kriegt man mit einer Gastspielreihe einfach mehr hin, als nur Gastspiele zu zeigen. Das geht im Tanz natürlich leichter als im Schauspiel.

Hartmut Henne hat den Posten eines künstlerischen Leiters ohne Produktionsmöglichkeiten als Hausmeisterjob bezeichnet. Fühlen Sie sich so?

Ich habe dafür einen schöneren Begriff: Theatergalerist. Das heißt, daß man keine Auftragswerke erarbeitet, aber Sachen präsentiert und als Partner für alles mögliche da ist, auch für ästhetische Diskussionen. Als Anfänger bin ich auf genau derselben semiprofessionellen Ebene, auf der auch der Rest der Szene arbeitet. Und da kann man zusammen ganz viel schaffen. Interview: Gerd Hartmann

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