„Mit Mike Tyson debattiert man nicht“

■ Kenneth Courtis, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Asien, über die falsche Strategie deutscher Firmen: „Man muß die japanische Konkurrenz in Japan unter Druck setzen“

Kenneth Courtis ist seit Ende der achtziger Jahre Chefvolkswirt der Deutsche-Bank-Gruppe Asien mit Sitz in Tokio. Gleichzeitig unterrichtet er an der Tokio- und Keio- Universität. Von den meisten westlichen Asien-Beobachtern, die heute einen Einbruch des japanischen Finanzsystems fürchten und eine pazifische Wirtschaftsstagnation voraussehen, unterscheidet sich Courtis durch seinen unveränderten Glauben an Tokio als zukünftiges Gravitätszentrum der Weltwirtschaft.

taz: Das letzte Japan-Cover des „Time-Magazine“ sprach vom „gescheiterten Wunderland“. Insider Ihrer Bank berichten von der Schadenfreude deutscher Manager aufgrund Japans andauernder Rezession. Stimmt das allgegenwärtige Bild vom Verfall der japanischen Wirtschaftsmacht?

Kenneth Courtis: Wie können die Leute nur auf solche Ideen kommen? Wenn Sie Siemens, Volkswagen oder ein deutscher Werkzeugmaschinenhersteller sind, wäre es absurd, die Japaner nicht als starke Konkurrenten zu betrachten. Nehmen Sie den größten japanischen Automobilkonzern: Toyotas Produktionskosten lagen 1991 bei 28 Milliarden Dollar. Heute liegen sie 6,8 Milliarden Dollar darunter. Würde der Umsatz im Autogeschäft jetzt wieder steigen, könnte Toyota sein Geld gleich selbst drucken. Oder nehmen Sie den Werkzeugmaschinenbau: Unter den größten 25 Unternehmen der Branche stammen sechzehn aus Japan, vier aus Deutschland und vier aus Amerika.

Professor Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Frankfurt, sieht die Dinge offenbar anders: Er warnt ständig vor der dringend notwendigen Korrektur des japanischen Finanz- und Immobilienmarktes. Wie verläuft die Japan-Debatte innerhalb der Deutschen Bank?

Ich debattiere da nichts. Wenn Toyota seine Produktionskosten um 32 Prozent abbaut, dann ist das eine Tatsache. Mit einem Mike Tyson, der nur aus Muskeln besteht, gibt es auch nichts zu bereden.

Trotzdem erscheint Japan von weitem als ein Land, das mehr mit seinen Altlasten — sprich: den Spekulationsfolgen — beschäftigt ist als mit neuen Ideen und Strategien.

Gegenfrage: Wo in der Welt wird das zukünftige Wachstum erwirtschaftet werden, wenn nicht zwischen Bombay und Peking, und wer versucht, diese Märkte aufzurollen? BASF und Hoechst haben gerade neue Investitionen in Asien angekündigt. Auch Volkswagen hat einiges verstanden. Aber schauen Sie hier über die Dächer von Tokio: Dort liegt die Zentrale des japanischen Handelshauses Itochu. Itochu hat 188 Projekte in China laufen und unterhält dort 18 Büros mit 312 japanischen Mitarbeitern. Oder das japanische Handelshaus Mitsui: Allein in Thailand ist es an 147 Joint-ventures beteiligt. Da gibt es nichts zu diskutieren. Das ist Realität.

Spielt Japan neben Ländern wie Indien und China nicht inzwischen einen Nebenrolle in der Entwicklung Asiens?

Die Grundströmung, die wir in den nächsten zehn Jahren beobachten werden, ist die Integration japanischen Kapitals, japanischer Technologie und japanischen Management-Know-hows mit der demographischen Entwicklung Ostasiens, sprich: den chinesischen Lohn- und Arbeitskosten.

Die Integration Asiens schreitet unaufhaltsam voran. In Europa hat die Deutsche Bank eine Forschungsgruppe Europa. Deutschland läßt sich nicht getrennt betrachten — genausowenig Japan in Asien.

Deutsche Unternehmen wie Siemens und Volkswagen versuchen sich an diesem Prozeß zu beteiligen, indem sie direkt in die Billiglohnländer Asiens investieren.

Kaum jemand bestreitet mehr, daß eine globale Unternehmensstrategie ohne eine Asien-Strategie undenkbar ist. Doch was viele nicht begreifen: Ohne eine Japan- Strategie gibt es keine Asien-Strategie. Japan auszulassen, wie es viele Unternehmen tun, ähnelt einer Nordamerikastrategie, die sich nur mit Mexiko und Kanada, aber nicht mit den USA beschäftigt.

Japan erwirtschaftete 1995 immerhin 68 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) ganz Asiens. Ein Prozent mehr Wachstum in Japan zählt real mehr als 8 Prozent Wachstum in China.

Japan erscheint deutschen Unternehmen als der schwierigste Markt der Welt: aufgrund der hohen Einstiegskosten und eng verflochtenen Konzernstrukturen. Lohnt sich da der Aufwand?

Ich behaupte das Gegenteil: In den letzten fünf Jahren war Japan in der Defensive. Wie in einem Fußballspiel ist das die Zeit, indem man den Gegner in die Enge treiben muß. Man hätte die japanische Konkurrenz in Japan unter Druck setzen müssen, was durchaus möglich war. Wenn die Wirtschaft hier erst wieder anspringt, was sich bereits ankündigt, ist diese Möglichkeit vertan.

Gerade für deutsche Unternehmen gilt: Eine Vokswirtschaft, die 5 Billionen Dollar wert ist und damit 80 Prozent der US-Wirtschaft umfaßt, kann man seinen engsten Konkurrenten nicht als Erholungsgebiet überlassen. Von einer globalen Strategie her gedacht, macht das keinen Sinn.