Filmproduktion in familiärem Ambiente

Auf dem Weg zur neuen Multimedia-Metropole? Babelsbergs DEFA feiert fünfzigsten Geburtstag  ■ Von Ansgar Oswald

Mächtige Bäume säumen die breite gepflasterte Straße Alt-Nowawes'. Zu unscheinbar, beinahe kleinstädtisch wirkt die Gegend mit den kleinen Weberhäusern, als daß man hier berühmte Filmstudios vermuten könnte. Dennoch: Im Kreuzungsbereich der Grenzstraße gegenüber dem Park Babelsberg läßt ein großes Schild keinen Zweifel: dok Filmstudio Babelsberg GmbH. Die Gesellschaft für Film-, Video- und Fernsehproduktionen ist eine Tochter der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Noch bis 1992 firmierte diese dok- Filmstudio GmbH der Treuhandnachfolgerin unter dem Namen DEFA Studio für Dokumentarfilme.

Hier in der großen Halle des „Althoff-Ateliers“ im Babelsberger Weberviertel war es auch, als am 17. Mai 1946 die „Deutsche Film A.G. in Gründung“ (DEFA) ins Leben gerufen wurde. Die DEFA trat seinerzeit in der damaligen sowjetischen Besatzungszone die Rechtsnachfolge der Universum Film Aktiengesellschaft (Ufa) an und übernahm damit 70 Prozent der Ufa-Vermögenswerte. Dazu zählten auch die legendären Filmstudios in Babelsberg. Das ebenfalls 1946 in Alt-Nowawes gegründete Studio für Kurzfilme avancierte zum Hauptquartier für DDR-Dokumentarfilme. Bis zur Wende gehörte die DEFA-Dokfilm zu den weltweit größten Studios von Dokumentarfilmen, Fernsehfeatures und -serien, bis hin zu Werbe- und Ausbildungsfilmen. Gemeinsam mit der Berliner DEFA-Dokzentrale in der Jägerstraße, wo heute das Sat.1-Medienzentrum gebaut wird, wurden jährlich 700 Produktionen für unterschiedlichste Auftraggeber erstellt. Entsprechend umfangreich ist der Fundus realsozialistischen Filmschaffens, der sich im hauseigenen Archiv in Berlin ansammelte und den 1993 die Progress Filmverleih GmbH in Berlin übernahm.

Inzwischen ist die DEFA selbst archiviert. Die dok Filmstudio GmbH in Babelsberg produzierte ironischerweise als eigenen Abspann 1995 im Auftrag der Bundesregierung eine Langzeitdokumentation über den Bundestagsumzug. Nunmehr befindet sich die BvS-Tochter in Liquidation und betätigt sich bis dahin sinnstiftend in der Rolle des Hausherrn als Ateliervermieter an Filmproduzenten.

Rückblick mit Krokodilstränen

Eigens zum 50. Jahrestag der DEFA hat der Regisseur des Ostdeutschen Rundfunks, Ullrich Kasten, für diesen Sender einen filmischen Essay gedreht. Der Rückblick dürfte manche Krokodilsträne auslösen. Doch zum Heulen und Zähneknirschen besteht wenig Anlaß. Während auf dem 46 Hektar großen Terrain der Babelsberger Studios unter der Ägide eines französischen Investors und der tatkräftigen Mitwirkung von Ufa-Bertelsmann aller anfänglichen Skepsis zum Trotz eine Medienstadt wächst, soll auch das 14.000 Quadratmeter große Gelände in Alt-Nowawes der Medienwirtschaft erhalten bleiben. Darüber sind sich zumindest die BvS, die Stadt Potsdam sowie das Land Brandenburg einig. Doch bisher scheiterten alle Versuche, den Standort mit einem Einzelinvestorenkonzept zu verkaufen.

Schon seit längerem haben Filmproduzenten verschiedener Genres das familiäre Ambiente vor Ort zu schätzen gelernt. Die 720 und 200 Quadratmeter großen Ateliers samt Nebenräumen sind ausgebucht. Erst im März rückte die Ascot Film- und Fernsehproduktions GmbH mit ihrem Stab und eigener Technik an und drehte in den Dok-Studios „Das Kondom des Grauens“ als konsequente Fortsetzung vom „Bewegten Mann“. Andere Unternehmen, wie die 1994 gegründete Nitrofilm Medienproduktion GmbH, haben sich auf dem Areal einquartiert. Nitrofilm, die bisher erfolgreich mit digitalen Produktionstechniken bei TV- und Kinofilmen gearbeitet hat, eröffnete letztes Wochenende in den dok-Filmateliers ein virtuelles Studio in Berlin- Brandenburg. Die Auftaktproduktion heißt „ORB in Kinderhand“, die zum Internationalen Kindertag am 1. Juni 1996 ausgestrahlt wird.

Auch einige Berliner Firmen, wie die Werbefilmproduktion GmbH cine point, erwägen den Umzug auf das dok-Filmgelände. Neben dem Standort ist es vor allem das originelle Konzept der „Eigentumsbindung zu Gewerbe- mietpreisen“, mit dem die Landesentwicklungsgesellschaft Brandenburg GmbH (LEG) lockt. „Danach werden die Firmen zugleich auch Grundstückseigentümer und zahlen eine Kapitaldienstbelastung, die mit 12 bis 18 Mark je Quadratmeter deutlich unter den Gewerbemieten liegt“, so der Medienbeauftragte des Landes Brandenburg, Sascha Bakarinow. Zunächst wird die LEG die Liegenschaft von der BvS übernehmen und entwickeln, um sie anschließend stückchenweise an die Investoren weiterzugeben. Um den Grunderwerb finanzieren zu können, haben sich die über zwanzig interessierten Firmen in einer Bauherrengemeinschaft zusammengefunden. Bei diesen über zwanzig Betrieben handelt es sich durchweg um einen klein- und mittelständischen Medienbranchenmix: vom Softwareentwickler und Film- und Musikproduzenten bis hin zu diversen Verlagen. Als Domizil für das Firmenkonglomerat ist auf dem dok-Gelände ein Multimediazentrum geplant. Dem Medienbeauftragten Bakarinow schwebt als Sahnehäubchen des Konzepts eine Future Academy vor, an der die fachlich kompetenten Medienbetriebe mit Gastdozenten ein bisher einzigartiges „training on the job“ anbieten.

Serviceleistungen im High-Tech-Pool

Olaf Bessenbacher, Geschäftsführer der cine point und Ansprechpartner für Berliner Firmen, sieht mit dem Vorhaben auf dem dok- Gelände die Chance, mit kleinen, innovativen Unternehmen eine Verflechtung von Serviceleistungen herzustellen. Denn bisher gebe es in der Region kein Zentrum für kleine Medienunternehmen.

Die ausgezeichneten Studios der Medienstadt Babelsberg und das ab 1997 bevorzugt für kleine Firmen aus dem Multimediabereich zu Verfügung stehende High- Tech-Center mit komplettem Technik-Pool sind laut Bessenba- cher keine Alternative: „Filmproduzenten arbeiten mit ihrer eigenen Ausstattung und bevorzugten Serviceunternehmen. Am besten sind deshalb Studios, die leer und supergünstig sind“, weiß der Werbefilmer.

Aufgeschreckt durch die neuen Steuereinnahmedefizite im brandenburgischen Landeshaushalt von 600 Millionen Mark in 1996 und rund einer Milliarde 1997 will LEG-Geschäftsführer Wolfgang Heitmann für die Gesamtinvestition von maximal 70 Millionen Mark eine hundertprozentige Finanzierung erreichen. Mit der angestrebten Garantiefinanzierung soll das dok-Projekt langfristig gesichert werden. Darüber müsse das Kabinett am nächsten Dienstag befinden, so Bakarinow. Sollte das nicht gelingen, bleibt es bei der Maximalförderung von 50 Prozent aus dem Programm der „Gemeinschaftsaufgabe Infrastrukturförderung Ost“ (GA). Mittlerweile hat die eiserne brandenburgische Finanzministerin Wilma Simon eine neue Haushaltssperre verhängt. Die Stimmung trübt das nicht. Eberhard Wagemann, Geschäftsführer der dok Filmstudio GmbH, erwartet heute zum rauschenden Fest über 2.000 Besucher. Immerhin ist das Privatisierungskonzept der LEG bereits gebilligt, beruhigt Bakarinow.