: Ey Alte, ich will dich jetzt haben!
Der Cowboyfilm ist zu Ende, im Saal ist es längst schon wieder hell: Der Sänger Udo Lindenberg wäre heute 50 geworden. Wer war er? Ein Panikmacher? Ein Politiker? Mafioso oder gar Gangster aus einer anderen Galaxie? ■ Von Peter Unfried
Vor Tagen in Berlin. Hotel Esplanade. Pressekonferenz. Der Weltmeister Michael S. sprach von seiner Inkontinenz. Erzählte, wie der Mechaniker den Finger in die Flüssigkeit taucht, die aus dem Boliden tropft. Dann den Kopf schüttelt und erklärt, dies sei kein Wasser. Verrückt nach all den Jahren. Aber wie die Lache des Fahrers S. unangenehm langsam im Raum versickerte, stand ... plötzlich ... wieder ... Nora Nagelmann an den Boxen. Und reckte den Hals wie 'ne Giraffe.
Gedresst in Asbest und in Angst,
so daß er ins Cockpit näßt,
doch volles Rohr, sonst wird das nichts,
mit dem hochdotierten Grand Prix.
Riki Masorati. 1977. Er hatte alles gewußt.
Am 17.Mai 46 kam Udo Lindenberg folgendermaßen zur Welt: Ich fiel direkt vom Himmel auf ein D-D-Doppelkornfeld. Das Unglaubliche trug sich zu in der Nähe von Gronau, und als ich so um 13 war, stellt' man fest, ich war zu schlau.
Parties, Poster, Nürburgring
Da ist ein Bild: Udo auf einem Oldtimer stehend – und im Hintergrund der Nürburgring. Das war ein Poster und hing im megafeuchten Keller in der Hirtenstraße 2. Da stiegen ja bei Jo die Udo-Parties. Damals waren Muck und Mimm auch noch dabei. Mit Muck konnte man diese Sachen leider nicht machen. Die war vierzehn, und das war zu gefährlich.
Ibm-ibm-ib:
Mit Mimm konnte man schon.
Die besten Frauennamen:
1. Angeilika aus Winsen an der Luhe
2. Lady Horror
3. Elsa Egal/Rita Nichtwichtig
4. Fräulein Eitel/Mademoiselle Plastik
Eigentlich war Udo Abenteurer. Die beste Straße seiner Stadt hatte aus ihr herausgeführt. Er hatte sie genommen. Er vertrödelte seine Zeit nicht in den Jagdgründen, die man Diskotheken nannte. Er war die Nachtigall. Wo er war, war Panik. War alles sizilianisch. Er winkte sich 'nen Schlitten ran. Und cremte sich ein mit Walfischfett. Keine Frau war vor ihm sicher. Na und?! Männer auch nicht. Udo war von den Flexibelbetrieben. Er flippte um die Welt. Urbi, orbi, amen, amen, bumsen oder Onanie ist verboten – und zwar wie. Reinknallen, antörnen, Speedogon: Kein Monakke und kein Monarche, nicht einmal eine Uhu-Tube kam ungeschoren davon.
Die besten Songanfänge:
1. Mac war ein Junge, und seine Welt war – ein Hinterhof in Hamburg-Altona. („Rock 'n' Roller“)
2. Morgens zum Frühstück kommt ihr Mann mit dem Spruch: „Ich hab' dich lieb, doch wo ist meine Zeitung?“ („Sie ist vierzig“)
3. Neulich war – ich mal wieder in Amerika. Und da traf ich einen Herrn von der Mafia. („Jonny Controlletti“)
Eigentlich war Udo ja Politiker. Er gründete die Panik-Partei. Andere Politiker fürchteten ihn. Der Präsident bot ihm 500 Millionen Dollar an. Der Papst bot einen Platz im Paradies. Udo sagte: No. Dann entsorgte er die Nervensägen dieser Welt raffiniert ins All. Bitte auch Herrn Schmidt. Und wurde selbst Bundeskanzler. Fast. Kurz bevor er mit überwältigender Mehrheit gewählt worden wäre, entführte man ihn.
„Panische Zeiten“. Der Film floppte.
Die fünf besten Songs (zum Mitsingen):
1. 0-Rhesus-Negativ
2. Reggae Meggi
3. Bodo Ballermann
4. Hoch im Norden
5. Alles klar auf der Andrea Doria
Jo sagte: „Wenn man am Feuer saß und mit Lindenberg-Gestik diese Songs zelebrierte, trug das in hohem Maße zur Lockerheit bei.“ Dann schwieg er, und irgendwann sagte er noch: „So was konnte sonst eigentlich nur noch der Alkohol.“
Hallo Ober, noch 'ne Ladung. Und zwar avanti, avanti.
Eigentlich war Udo ein Gott. Er schuf eine Welt. Er schuf Menschen.
Er konnte aus Renate Dahlke Elli Pyrelli machen. Aus Ted Herold ein ganz heißes Kind. Aus einem abgetakelten Sänger wieder Eric Burdon. Und aus einem pensionierten Verkaufsleiter den großen Geiger Rudi Ratlos. Leibmusikalartist von diesem Scheiß-Adolf – und Eva Braun.
Sätze to remember:
1. Es gibt nur ein Getränk, das find' ich gut. Und das ist Blut. („0-Rhesus-Negativ“)
2. Ich bin nicht so 'n primitives Schwein, und schlag 'nem Schwachen die Fresse ein. („Rock 'n' Roller“)
3. Mick Jagger, Alfred Dregger, Rod Stewart, James Hunt, nur große Namen sind interessant für... („Angelika“)
4. Stell dir vor, du kommst nach Ost-Berlin, und da triffst du ein ganz heißes Mädchen, so ein ganz heißes Mädchen aus Pankow. („Wir wollen doch einfach nur zusammensein“)
Eigentlich war Udo ein Fuzzi.
Alles, was der tat, war: ein Über-Ich zu inszenieren. Ironie? Gegenüber anderen. Selten im Bezug auf sich. Nie wollte Udo differenzieren zwischen dem literarischen, dem Bühnen-Ich und dem Menschen Udo. Im Gegenteil. Udo tat das alles, um den Super- Udo geben zu dürfen. Udo nahm sich wichtig. Das machte ihn glaubhaft.
Den letzten Absatz wieder streichen.
Dieser Tage in Bild: „Hallo, Fantomas. Ich bin's, Udo. Was hast du denn für mich? Ach, du willst mit mir zum Mars. Da wollte ich schon immer hin. Mach das mit der Rakete klar.“
Zwischen den Knien der Tank voll Benzin
Damals pflegte Udo genau dasselbe zu sagen. Damals sagte er etwas ganz anderes. Udo baute den Bett-Män. Udo hatte zwischen den Knien – den Tank voll Benzin. Udo reichte Anträge beim transsylvanischen Prüfamt ein. Planeten, auf denen es musikalisch nicht mehr weiterging, brauchten ihn fürs Musikministerium. Es war phantastisch.
Die besten Düdn-dü-düs (Annäherungen):
1. Deidadei-dadeidadei („Nichts haut einen Seemann um“)
2. Dadüdüdü, düdüdü, düdüdü – düdüdndü („Meine erste Liebe“)
3. Dada-dadeida, dadadado, dadadadei ... deideidei („Radio Song“)
Als Udo 1979 mit der von Peter Zadek inszenierten „Dröhnland Symphonie“-Tour Lucifer, den Feuilleton-Mob, überrannte, hatte er den kreativen Höhepunkt hinter sich.
Und die Zeiten hatten sich geändert. Vielleicht waren sie auch nur weitergegangen: Die Mutter guckte nicht mehr alleine Krimi oder Quiz, während die Tochter da war, wo die Action is'. Die Mutti war jetzt die, die bei Udo war. Dafür die Tochter nicht mehr.
Den letzten Absatz wieder streichen.
Der beste Satz (auf Widerruf):
Und durch die Halle geht ein Mann, seriös und akkurat, er ist das Superschwein vom Kinderkillersyndikat.
Die L-I-E-B-E. Immer unglücklich. Fast immer. Keine Ewigkeitsgarantie. Aber so intensiv. Wie Rauschgift. Mit Entzugserscheinungen. Wenn die Kinnlade wegkippt. Sicherung durchbrennt. Und das Bierglas aus der Hand fällt. Nicht mehr schlafen, nix mehr essen. Tapezieren mit Küssen. Geladen wie 'ne Knarre. Utopisch erektiv.
Die fünf besten Songs (sentimentale Verfassung):
1. Meine erste Liebe
2. Cello
3. Radio Song
4. Liliputaner
5. Wir wollen doch einfach nur zusammensein
Übrigens hat Udo niemals einen Hut getragen. Es sei denn, er war gerade als Coolman unterwegs.
Der beste Ort:
Schnöseldorfer Plastikallee
Es sind nicht die oben aufgelisteten. Jetzt, hier, sind schon wieder ganz andere die besten fünf. Wenn einer sagt „Spiel drei Songs von Udo!“ ist man rettungslos verloren.
Der beste Satz (vielleicht):
Es tat dir zwar 'n bißchen weh. Doch trotzdem haben wir die Sterne gesehn.
Die Linde rauscht nicht ewig. Es gibt da einen Zombie. Vom Spießertran gezeichnet. Dieser Zombie behauptet, Udo Lindenberg zu sein. Er lügt. Udo hätte niemals Coverversionen von Funny van Dannen gesungen. Er hätte auch nicht in Bild „alles“ erzählt. Nie hätte er sich Schalmeien schenken lassen. Und in Sonderzügen wäre er auch nicht gefahren.
Irgendwann zogen Muck und Mimm weg. Der Keller war einfach zu feucht. Das Udo-Poster fiel dann von der Wand.
In den frühen 80ern erzählte man sich eine Zeitlang, Udo habe sich auf die Bahamas zurückgezogen, um in Nassau unter dem Bananenschalenkleid Likör zu schlören. Dann fuhr einer hin, um nachzuschauen. Er war nicht da. Inzwischen bin ich ziemlich sicher, daß er auf einer seiner Detektivtouren durch den Weltraum in irgendeiner Galaxie, von der wir alle hier noch gar keine Ahnung haben, einen Planeten entdeckt hat. Oder einen Lindischen Kometen. Da wäre ich auch gern, denn da stehen sicher jetzt die Lautsprecher, da vibriert die heiße Luft, da schreibt Udo seine Autogramme, aber ganz speziell: mit dem Lippenstift auf die nackte Haut, nachts um drei im Hotel.
Den letzten Absatz wieder streichen.
Der beste Satz (kein Irrtum
möglich):
Ey Mann, fahr zu deiner Rockerclique. Und sag der Alten, die du liebst, daß du sie jetzt haben willst!
Ey, Alte, die ich liebe: ICH WILL DICH JETZT HABEN!
Ohne Udo wäre das alles nicht auszuhalten gewesen.
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