Eiszeitende zwischen Bonn und Belgrad

Der Besuch von Außenminister Kinkel soll die Beziehungen zwischen Serbien und Deutschland verbessern.Ein Anfang ist mit der Anerkennung der Republik Jugoslawien gemacht  ■ Von Erich Rathfelder

Die Eiszeit in den deutsch-serbischen Beziehungen scheint vorüber zu sein. Mit dem Besuch des deutschen Außenministers Klaus Kinkel gestern in Belgrad wird die vor vier Wochen erfolgte Anerkennung der Republik Jugoslawien – bestehend aus Serbien und Montenegro – in praktische Politik umgesetzt.

Beiden Seiten fiel es nicht leicht, sich aufeinander zuzubewegen. Auf der serbischen Seite setzte sich nach dem Abkommen von Dayton die Meinung durch, Deutschland könne als wirtschaftlich stärkste Macht in Europa nicht mehr ignoriert werden. Wolle Serbien von den ökonomischen Hilfen der EU nicht abgeschnitten werden, müsse es auch mit Deutschland zu einem besseren Verhältnis kommen. Angesichts der galoppierenden Inflation und der ungünstigen serbischen Industriestruktur – wo es viel Schwer- und Rüstungsindustrie, jedoch nur wenige weiterverarbeitende Betriebe gibt – sowie dem Zwang, das System in Richtung Marktwirtschaft zu reformieren, gibt es zu dieser Politik auch keine Alternative. Die Kräfte, die mit dem Beitritt in eine neu zu gründende Sowjetunion liebäugeln und antieuropäisch wie auch antireformerisch eingestellt sind, wurden zurückgedrängt. Auf Betreiben der Ehefrau des serbischen Präsidenten Milošević, Mirjana Marković, wurde im April die antideutsche Propaganda in den serbischen Medien gestoppt. Die Standardanklagen gegenüber dem „Vierten Reich“, das zusammen mit dem Vatikan und anderen finsteren Mächten nichts anderes im Sinne hätte, als Serbien zu zerstören, sind (vorerst) verstummt.

Im Gegenzug mäßigte Kinkel seine vor Monaten gemachte Aussage, Serbien müsse in die Knie gezwungen werden, um einen Frieden auf dem Balkan zu erreichen. Auf internationalen Konferenzen nutzten Kinkel und der jugoslawische Außenminister Milan Milutinović die Gelegenheiten, zusammenzutreffen, so bei der letzten UNO-Vollversammlung in New York. Der politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Wolfgang Ischinger, konnte als Architekt der Entspannungspolitik gegenüber Serbien zudem die Kanäle nutzen, die über die Jahre hinweg trotz des Krieges und der Propaganda aufrechterhalten worden waren.

Die in den USA und auch bei den westeuropäischen Bündnispartnern geäußerte Befürchtung, Serbien könnte bei Aufrechterhaltung der Spannungen noch weiter in Richtung Rußland abdriften, verfehlte auch bei den deutschen Politikern ihre Wirkung nicht. Mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und der Normalisierung im deutsch-serbischen Verhältnis sollen die Weichen auf eine Annäherung Serbiens an die EU gestellt werden. Nicht zuletzt erhoffen sich westliche Diplomaten und Politiker darüber mehr Einwirkungsmöglichkeiten auf die serbische Innenpolitik und auf die Umsetzung des Abkommens von Dayton in Bosnien-Herzegowina.

Der neue entideologisierte und pragmatische Zug im deutsch-serbischen Verhältnis wird jedoch schon zu Beginn der Verhandlungen einer Belastungsprobe ausgesetzt. Denn die Themen, die in Belgrad verhandelt werden, zeigen tiefe Interessensgegensätze auf. Die deutsche Seite ist daran interessiert, die 120.000 aus Serbien und Montenegro stammenden Kriegsflüchtlinge zurückzusenden. Ein großer Teil dieser Menschen kommt aus dem Kosovo und dem Sandschak. Es handelt sich also um Kosovoalbaner und Muslime aus Westserbien. Angesichts der Unterdrückungspolitik Belgrads gegenüber beiden Volksgruppen ist die Rückkehr dieser Menschen jedoch unter den gegebenen Umständen kaum zu verantworten, es sei denn, Belgrad wäre zu Kompromissen bereit. Zudem stößt die Forderung von serbischer Seite, Rückkehrerhilfen in Millionenhöhe zu gewähren, auf deutschen Widerstand. Zumindest müßte dann garantiert sein, daß dieses Geld auch tatsächlich die Betroffenen erreiche, heißt es in Bonn. Und das ist nach allen bisherigen Erfahrungen zweifelhaft.

Weiterhin sind die Standpunkte über die Rechtsnachfolge des alten jugoslawischen Staates nicht vereinbar. Milošević sieht den neuen jugoslawischen Staat als direkten Rechtsnachfolger des alten, was bedeutet, daß das neue Jugoslawien unmittelbar die Sitze in der UNO und anderen internationalen Organisation einnehmen kann, ohne um eine erneute Aufnahme zu bitten. Gerade das jedoch wollen Kinkel und die Mehrheit der EU-Außenminister nicht. Mit der Aufnahmeprozedur könnten nämlich Bedingungen gestellt werden: In bezug auf die Einhaltung der Menschen- und Minoritätsrechte in dem neuen Jugoslawien zum Beispiel. So wie dies jetzt gegenüber Kroatien geschieht. Erst am Dienstag hatte das Ministerkomitee des Europarates der Empfehlung der parlamentarischen Versammlung widersprochen und die Aufnahme Kroatiens in den Europarat an die Bedingung geknüpft, die Menschenrechte einzuhalten und „Demokratiedefizite“ zu verkleinern.