■ In Bonn gähnt das Steuerloch, in Brüssel werden die Kandidaten für die gemeinsame europäische Währung knapp. Streichen, streichen, streichen - so heißt weiter die Devise. Doch damit wird die europäische Wirtschaft kaputtgespart
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In Bonn gähnt das Steuerloch, in Brüssel werden die Kandidaten für die gemeinsame europäische Währung knapp.

Streichen, streichen, streichen – so heißt weiter die Devise. Doch damit wird die europäische Wirtschaft kaputtgespart

Achtung, Sparschweinepest!

Der einarmige Bandit hat sich die Hand selbst auf den Rücken gebunden: Die neueste Steuerschätzung zeigt dem Finanzminister Theo Waigel (CSU), daß ihm 1996 und 1997 Milliardenbeträge in den Haushalten fehlen werden. Und die Bundesbank beschwert sich, daß der Bund trotz im April überwiesener Milliardengewinne immer noch neues Geld leihen muß. Gleichzeitig signalisiert die EU-Kommission aus Brüssel, daß Deutschland nicht nur 1995, sondern auch 1996 die selbst gesetzen Kriterien für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion nicht einhalten wird. Die Neuverschuldung des Staates liegt in Deutschland deutlich zu hoch.

Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Politisch eine ganze Menge. Steuerausfälle in der Größenordnung von 25 Milliarden Mark für 1996 und 70 Milliarden für 1997, wie jetzt vorhergesagt, führen normalerweise zu einer zweiteiligen Antwort der Finanzpolitik. Auf der einen Seite dürften die Finanzminister von Bund und Ländern versuchen, noch mehr zu sparen. Auf der anderen Seite müßten sie aber schon jetzt überlegen, welche Steuern sie erhöhen können und wieviel mehr an Schulden sie aufnehmen müssen, um das Haushaltsloch zu stopfen.

Waigels Problem: Der zweite Ausweg bleibt politisch versperrt. Zumindest solange die Bundesregierung daran festhält, die Kriterien für die Währungsunion nicht lockern und den Euro-Start auch nicht verschieben zu wollen. Beides hat Kanzler Helmut Kohl (CDU) am Wochenende in Brüssel noch mal bestätigt.

Nimmt man dies ernst, bleibt damit für Waigel nur radikales Sparen. Ein radikaler Sparkurs mitten in der Rezession weist aber erhebliche Risiken auf. Tendenziell verschärft solches Sparen die Rezession nämlich noch. Wenn der Staat spart, bekommt die Wirtschaft von ihm weniger Aufträge. Gewinne schrumpfen, Verluste steigen, Arbeitnehmer müssen entlassen werden.

Gleichzeitig führt die sich verschärfende Krise dazu, daß auch die Konsumenten weniger Geld in der Tasche haben, also weniger ausgeben können. Im März ist der Umsatz des deutschen Einzelhandels um drei Prozent zurückgegangen. Die Folge: weniger Gewinne, mehr Verluste, mehr Entlassungen.

Schlimmer noch. Selbst diejenigen, die jetzt noch Geld in der Tasche haben, trauen sich nicht, größere Anschaffungen mit Krediten zu finanzieren. Man kann ja nie wissen, ob man nicht selbst im nächsten Monat arbeitslos ist. Die Anfragen in der Baubranche gehen zurück, oft werden nicht einmal Renovierungen vorgenommen.

Der Finanzminister und die Strategen der deutschen Großunternehmen haben immer einen klassischen Ausweg aus solchen Krisen empfohlen. Deutsche Firmen müßten auf den Weltmärkten mehr exportieren, den europäischen Nachbarn die Wurst vom Brot nehmen und so sich selbst aus dem Sumpf ziehen.

Doch auch mit dieser Lösung klappt es nicht. Die Vorgaben der Währungsunion haben nämlich auch sämtliche Nachbarländer dazu gebracht, eine rigide Sparpolitik zu verfolgen – mit entsprechend dämpfender Wirkung auf den Konsum. Die französischen Sparanstrengungen haben im vergangenen Herbst bereits zu sozialen Unruhen geführt. Und in Belgien hat sich die Regierung gerade mit einem finanzpolitischen „Ermächtigungsgesetz“ ausstatten lassen, um Steuern einsparen und erhöhen zu können, bis die Maastricht-Kriterien erfüllt sind. Mit anderen Worten: Auch im europäischen Ausland, das normalerweise große Teile des deutschen Exports aufnimmt, rutscht der Absatz in die Krise.

Führen die Pläne zur Währungsunion die hiesige Volkswirtschaft also ins wirtschaftliche Aus? Sicher, sagen Ökonomen wie Rudolf Hickel und Wilhelm Hankel. Die Sparpolitik im Zeichen des Euro führe zur verschärften Rezession. „Die Defizite müssen hingenommen werden“, so Hickel. Aber die Ursachen der Krise liegen nicht allein im Sparen; frühere Entscheidungen der Kohl-Regierung haben ins finanzpolitische Dilemma geführt: Waigel und seine Unions-Vorgänger haben die Steuern für Unternehmen und Wohlhabende in Deutschland wiederholt gesenkt. Anfang der achtziger Jahre, so Hickel, hätten die Unternehmen noch 37 Prozent ihrer Gewinne als Steuern abgeführt, heute nur mehr ein Viertel. Und Wilhelm Hankel rechnet vor, daß Arbeiter und Angestellte 1979 insgesamt 7 Prozent des Bruttosozialproduktes an Lohnsteuern abgeführt hätten – genauso viel wie die Unternehmen an Einkommen- und anderen Steuern. Heute liege der Lohnsteueranteil am Sozialprodukt bei 8,8 Prozent, der Anteil der Unternehmensteuern aber bei nur noch 3,4 Prozent.

Auch die Ausgaben für den vielgeschmähten Sozialstaat seien mitnichten ins Uferlose gestiegen, meint Hankel. Er rechnet vor, daß die Ausgaben für den Sozialstaat als Anteil am Bruttoszialprodukt heute etwa ein Drittel betragen – genau wie 1979. Nur mit dem Unterschied, daß heute deutlich mehr Menschen arbeitslos seien und auch die Zahl der Rentner deutlich zugenommen habe.

Zudem seien die Lohnnebenkosten auch deshalb gestiegen, weil die Kohl-Regierung die Kosten der deutschen Vereinigung zu guten Teilen auf die Sozialkassen abgewälzt habe: die Beiträge stiegen, die Arbeitsstunden wurden teurer. Und kräftig umverteilt wurde auch: Denn Freiberufler und Beamte mußten hier nichts berappen für die Vereinigung.

Die Krise ist hausgemacht. Wer die vorgegebenen Ziele der Währungsunion jetzt erreichen will, verschärft sie nur. Daher liegt es nahe, erstens die Währungsunion zu verschieben. Und zweitens die Steuerlasten wieder ehrlich und gerecht zu verteilen. Weitere Steuerentlastungen für Gutverdienende und Unternehmen braucht es gewiß nicht. Erst dann wäre der Euro für alle da. Hermann-Josef Tenhagen