: Vom Volkslippenstift bis zur lila Kuh
■ Ein halbes Jahrhundert Werbung spannt den Bogen vom Wirtschaftswunder zum Yuppietum Von Hajo Schiff
Pack den Krawattenmuffel in den Tank, und der Tiger läuft meilenweit, bis der Tag geht und der Tchibo-Experte kommt: Die Sprüche der Werbung spuken bei jedem in irgendwelchen Ecken des Gedächtnisses herum. So einprägsam oder lästig die aktuelle Werbung auch sein mag, in gebündelt historischer Übersicht und ohne Kaufzwang als schöne Kunst betrachtet, ist sie ganz wunderbar. Die Ausstellung „50 Jahre Werbung in Deutschland“ zeigt jetzt auch in Hamburg Anzeigen, Plakate, Produktpackungen und Werbefiguren samt Video- und Dia-Dokumentationen eines halben Jahrhunderts deutscher Kampagnen.
Zusammengestellt hat diesen Rückblick das Deutsche Werbemuseum in Frankfurt, hier wurde sie vom Gruner+Jahr-Verlag mit einer Dokumentation des stern angereichert, die die Werbung Jahr für Jahr in den Kontext der politischen Geschichte setzt. Und der Verlag hat eine Original Vertriebs-Isetta aufgetrieben, jenes mit 250ccm Einzylinder-Motor angetriebene Fronttür-Gefährt aus dem Ende der fünfziger Jahre.
In rückblickender Zusammenschau spiegelt gerade Werbung besonders intensiv den Zeitgeist vom Wiederaufbau-Pathos der beginnenden Fünfziger zur Freßwelle und neuen Luxusmoden an deren Ende, vom Revolutionsgeist der späten Sechziger zum Yuppietum der Achtziger. Wenn „garantiert Friedensqualität“ annonciert wird oder Henkel sich zum „Wächter der Reinlichkeit – Hüter der Gesundheit“ ernennt, ahnt man den Ernst der Nachkriegszeit.
Das Wirtschaftswunder lockte dann mit unzähligen lustigen Figuren, die manche noch heute kennen: von Salamanders „Lurchi“ (die Kinder-Comics des Schuh-Marken-Tieres brachten es auf über 100 Millionen Auflage) zum HB-Männchen, von der Pril-Ente zum Bärenmarke-Bären. Dessen nachgeborene Freundin, die lila Kuh, ist sogar real, schwanzwedelnd und augenzwinkernd in der Ausstellung anwesend.
Ganz vergessen aber sind „Dr. Unblutig“, der Fußpflege und Bräunungscreme anpries, oder der „Volkslippenstift“, von der Filmschauspielerin Liselotte Pulver vorgeführt. Auch die Virginia-Zigarette „Texas“, die „auch beim Dauerrauchen nicht ermüdet“ ruft heute eher amüsiertes Kopfschütteln hervor.
Parallel zur Popart begann die Werbung in den sechziger Jahren den Lebensstil über die reine Produktwerbung hinaus zu beeinflussen. Der „Duft der großen weiten Welt“ oder der „Afri-Cola-Rausch“ kanalisierten zeittypische Sehnsüchte auf ein Produkt. Die DB-Kampagne von 1966/67 mit einer Lok im Schnee auf schwarzem Grund und dem Text „Alle reden vom Wetter...wir nicht“ ist vielen besser in Erinnerung als gecovertes MSB-Plakat mit Marx, Engels und Lenin auf rotem Grund.
Die Werbung seit den siebziger Jahren gehört noch fast zum heutigen Alltag, sie bemüht sich um so Großartiges wie den „Unterschied zwischen sauber und rein“ und betreibt immer stärker von den Produkteigenschaften abgehobene Mythenbildung. Spezielle Imagefelder werden lose mit Markensignets verbunden bis hin zur genialen Kunstform der umstrittenen Schockwerbung Benettons.
Aber davon wollen wir nicht weiter reden und machen jetzt mal Pause ... – nicht ohne vorher im O-Ton der schockierenden Anzeige von 1947 zu warnen: „Alkoholfälscher, Schalksnarren, Beutelschneider, Alchimisten, Scharlatane versuchen, für ihre dunklen Machenschaften die Marke Asbach „Uralt“ zu mißbrauchen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen