Blau, tot, steif in der Leere

■ Neu auf Hamburgs Bühnen: „Mond für die Beladenen“ im Ernst-Deutsch- Theater, „Silikon“ auf Kampnagel und „Love Letters“ im Altonaer Theater

Mond für die Beladenen

Herz und Verstand werden toll, wenn der hellgelbe Ball sein weißes Licht herabschickt. In mondbeschienenen Nächten können Illusionen zur Wahrhaftigkeit und Wahrheiten zum Mythos geraten. Eugene O'Neills Mond für die Beladenen, das Mittwoch im Ernst-Deutsch-Theater Premiere hatte, macht sich diese sehnsüchtige Projektion fragend zu eigen.

Dem Blick öffnet sich ein wunderschön mystisches Rondeel in Blau. Davor knarren aufgeschichtete Bretter und zeichnen grob das heruntergekommene Farmhaus der Familie Hogan. Das paßt zu der schwermütigen Gechichte einer unerfüllten Liebe zwischen der Farmerstochter Josy (Sabine Staudacher) und dem haltlosen jungen Säufer Jim Tyrone (Rainer Goernemann). Das Drama ist gespickt mit Sehnsüchten, Intrigen und Lügen. Einzig die Liebe könnte aus diesem zynischen Zyklus retten. Doch zeigt O'Neill sie nur als Schatten, als Illusion ihrer selbst.

Die Inszenierung Franziska Fleckensteins setzt auf das gesprochene Wort. Die einzigen Requisiten, die sie zuläßt, sind die Trost spendende Whiskyflasche und eine Heugabel. Den Schauspielern obliegt die schwere Aufgabe, die Subtilität der Gefühle und die Verzweiflung der Seelen allein zu transportieren.

In der Eingangsszene treffen Vater Hogan (Robert Zimmerling) und Tochter aufeinander und entblättern streitend, lachend und schimpfend ihre ambivalente Beziehung. Doch die Regisseurin läßt die beiden regungslos in einer Pose verharren. Das Bühnenbild liefert nurmehr die Hintergrundtapete eines Bühnenstills. Überhaupt scheinen die Register der schauspielerischen Gefühlsregungen begrenzt. Staudacher gibt der Figur der Josy, einer deftigen, zotigen, aber warmherzigen Frau, keinen tiefen Halt. Das wahnsinnige Trauma Jims, der die mütterliche vergeblich in der körperlichen Liebe sucht, ist in Goernemanns Jim nur verhalten angelegt.

Wenn auch die Textvorlage hier und da eine abstrakte Reflektion der Figuren vorgibt, ausgebremste Gefühle liest man nicht. Ein farbloses Standspiel, welches das Versteckspiel hinter den Lebenslügen gerade mal fahl durch monotone Intonationen scheinen läßt.

Britt-Kristin Feldmann

Silikon – Death Valley Stories

Immerhin will mal jemand was Eigensinniges aus der Reihe von Hamburgs diplomiertem Regie-nachwuchs – auch wenn das Resultat viel Anlaß zu Kritik gibt. Aber Falk Richters Adaption von Gerardjan Rijnders Silicon, seine Abschlußarbeit im Studiengang Schauspieltheater-Regie, die Donnerstag beim Festival Junge Hunde auf Kampnagel aufgeführt wurde, läßt erahnen, daß hier jemand auf der Suche nach eigenen Themen und einer eigenen Theatersprache ist. Und das ist selten genug.

Richter inszeniert hier mit Marc Hosemann, Oliver Kraushaar und Marie Bäumer (deren Rolle in Männerpension dem Stück dicke Aufmerksamkeit bescherte) einen zynischen Abgesang auf den Hedonismus reicher, leerer Luxusgeschöpfe. Das Leben als eine Orgie, in der Aids ebenso wie Auschwitz, Sex wie Sadismus, Rilke wie die neueste Schamhaarmode nur austauschbare Partikel eines gelangweilten Geschwätzes auf der Suche nach etwas Kitzel sind.

Richters Versuch, tabulos, wild und radikal zu sein, verwandelt sich dabei leider allzuhäufig in ein buntes Durcheinander mal hysterischer, mal cooler Szenen und dadurch entsteht kein Gefühl zu den Personen. Stattdessen wird oft gestelzt gesprochen, geflucht und gestöhnt, Alkohol fließt in Strömen, Sprachstile werden satt gemengt und tierische Brunft neben blutigen T-Shirts und französischer Philosophie ergibt leider nicht die Telefonnummer der Leere.

Brett Easton Ellis hat mit seiner Beschreibung der reichen Hollywood-Jugend in Unter Null gezeigt, wie man die kalte Beklemmung über im Rausch verloschene Seelen reicher Langeweiler erzeugt. Vor diesem Vorbild ist Richters Ausmalung viel zu aufgeregt und dadurch künstlich.

Dennoch, der Versuch war es wert. Der Mut, die Anschmiegung an das Stadttheater zu verwerfen, ist sichtbar, und die intellektuelle Phantasie offenbar reich vorhanden. Ein neues Fünkchen Erwartung ist geschlagen. Till Briegleb

Love Letters

„Allein das Wort Beziehungen immer wieder zu hören, wirkt sich handschweißhemmend aus“, befand Botho Strauß einmal. Was die Premiere von Love Letters am Donnerstag im Altonaer Theater betrifft, hat er recht. Die Hände blieben trocken. Alles andere auch. Die Inszenierung von Axel Schneider und Werner Feig schaffte es, den Aspekten der Liebe die Dramaturgie einer Feldforschungsvorlesung in Soziologie zu verleihen.

Love Letters von A. R. Gunney erzählt von Melissa Gardner und Andy Ladd, die in der Grundschule einen 40 Jahre währenden Briefwechsel beginnen. Von Melissas ersten Zigaretten, von Andys Erfolgen im Ruderclub über ein einfaches „Liebe Grüße zu Weihnachten“ begleiten sich die beiden, eifersüchtig auf alle Veränderungen im Leben des anderen achtend. Die Geburt von Andys zweitem Kind kommentiert Melissa mit einem lapidaren: „Herzlichen Glückwunsch zu Baby Nr. 2“. Andy returniert: „Danke für deine Glückwünsche. Nr. 2 ist eine exakte Beschreibung des Babys“.

Aus den Briefen erfährt man, daß sich die zwei bisweilen treffen, jedoch sehr unterschiedliche Wege gehen. Melissa ist reich, verwöhnt und nicht nur trunksüchtig. Andy ist rechtschaffen und strebt nach dem Senatorenamt. Schon nach 20 Minuten – die beiden sind in der 8. Klasse – wünscht man sich, daß sie bitte nicht 90 werden oder sich wenigstens mit 25 verkrachen. Der Wunsch entspringt in erster Linie der Inszenierung.

Zwei Menschen lesen an zwei Tischen zwei Stunden lang Briefe ab. Wir blicken auf zwei Gesichter hinter der Schulbank. Dieses Thema wird nicht variiert.

Melissa (Elga Schütz) ist dabei in ein dunkelgrünblaues Blümchenkleid gesteckt und Andy (Kai Tiedemann) in eine rostbraune Hose mit weißem Polohemd. Dieses Outfit wird nicht variiert.

Im Hörspiel hätten die beiden brillanten Sprachkünstler übers Ohr durch die Phantasie ins Auge gewirkt. Mangels jeglicher Inszenierung wirkten sie im Altonaer Theater blutdrucksenkend und pupillenverengend. Elsa Freese