Sprayer wie Schwerverbrecher behandelt

■ Bahn und Polizei gehen in Hamburg heftig gegen Graffiti-Sprüher vor Von Sonja Schmitt

Sprayern in und an Hamburgs S-Bahnen droht die Deutsche Bahn AG mit der ganzen Härte des Strafgesetzes. Denn hinter „den massiven Sprayereien, die uns jedes Jahr über eine Million Mark kosten, steckt System“, glaubt Bahn-Sprecher Manfred Wächter. Das könne „in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden“. Sylvia Runge, Mutter des 14jährigen Philipp, der durch ein kleines „Tag“ in die Fänge der Strafjustiz geriet, hat eine andere Sichtweise: „Die Ignoranz der Bahn und das unnötig harte Vorgehen des Bundesgrenzschutzes gegenüber Sprayern führt zur Verrohung auf beiden Seiten.“

Tatort S-Bahn: Am 14. März um 12.30 Uhr werden Philipp und sein dreizehnjähriger Freund zwischen Klein Flottbek und Othmarschen in der S-Bahn beim Sprayen erwischt und bis 17 Uhr vom Bundesgrenzschutz verhört. Ihre Eltern dürfen sie nicht anrufen, statt dessen müssen die beiden ein Formular unterzeichnen, auf dem sie der Durchsuchung ihrer Wohnräume zustimmen. Für Philipps Mutter ist dieses Vorgehen vollkommen unverhältnismäßig: „Die beiden wurden behandelt wie Schwerverbrecher.“

„Jeder Erwachsene hat das Recht, einen Anwalt zu benachrichtigen“, erregt sich Sylvia Runge, „und die Kinder dürfen nicht einmal ihre Eltern anrufen“. Sechs Stunden habe sie nicht gewußt, wo ihr Sohn sei. Der BGS wollte sich mit Verweis auf das schwebende Verfahren gegenüber der taz nicht zu den Vorwürfen äußern.

Barbara Uduwerella, Initiatorin des 1994 gegründeten Graffiti-Projektes „Hip Hop Hamburg e.V.“, vermißt einen menschlichen Umgang mit den meist männlichen, zwischen zehn- und 17jährigen Sprayern, vor allem aber Plätze für deren kreative Kunst. „Statt abgeurteilt zu werden und jahrelang Schulden abzuzahlen, sollten die Jungs ihren Schaden selbst bereinigen“, so die Sozialpädagogin. Obwohl sich Philipp schriftlich entschuldigt und angeboten hat, den Schaden zu beseitigen beziehungsweise eine vergleichbare Sühneleistung zu verrichten, hält die Bahn an der Strafanzeige fest. Immerhin „prüft“ das Unternehmen, so Wächter, ob Philipp nach Abschluß des Verfahrens seine Schuld durch Arbeitsleistung sühnen kann.

Die Polizei reagierte auf die steigende Zahl der Sprayer mit einer Sonderkommission Graffiti beim Landeskriminalamt. Uduwerella erhebt schwere Vorwürfe gegen die neue Kommission: „Früher hat die Polizei oft mit mir zusammengearbeitet, um die Entschädigung der Opfer zu klären“, so Uduwerella, „jetzt drängt die SoKo die Eigentümer geradezu, ihre Strafanzeige nicht zurückzuziehen, um die eigene Existenzberechtigung nicht zu verlieren“.

Philipp wartet bis heute auf seine Strafe, die wahrscheinlich 200 Mark nicht überschreiten wird. Das Verfahren gegen ihn dürfte eingestellt werden. „In Anbetracht der hohen Verwaltungskosten würde der Staat besser damit fahren, wenn die Jugendlichen ihre Sprühereien selbst entfernen“, resümiert Uduwerella.