: Gesundheitskassen krankgeschrieben
■ Hamburger Krankenkassen rufen Mitglieder zum Widerstand auf: Streichkonzert von Rückenschule bis Ernährungsberatung
Es geht nicht um fit mit Bauchtanz oder Streßabbau durch Schüttel-Meditation. Vielmehr befürchten die Hamburger Krankenkassen das Aus für die Eckpfeiler der mühsam aufgebauten und anerkannten Präventionsarbeit. Und rufen ihre Mitglieder zum Widerstand gegen das in Bonn geplante „Beitragsentlastungsgesetz“ auf.
Danach soll von der Rückenschule bis zur Ernährungsberatung alles aus den Leistungen der Krankenkassen gestrichen werden, was in den vergangenen Jahren mit Erfolg praktiziert wurde. Übrig bleiben dann nur noch Schutzimpfungen, Zahnprophylaxe, Schwangerschafts- und Krebsvorsorge sowie Gesundheits-Checkup.
„Eine Katastrophe für Hamburg“, können die Verbände der Ersatzkassen die gesetzgeberische Kurzsichtigkeit kaum fassen. „Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, so Klaus Gollert, Leiter der Verbände der Angestellten- und Arbeiter-Ersatzkassen. „Das wird sich bitter rächen. Die Folgekosten für Krankheiten, die durch Prävention hätten vermieden werden können, werden steigen.“ Absurd sei es, daß an der Rückenschule für Pflegepersonal gespart wird, bis es zu einem Bandscheibenvorfall kommt. Oder daß die Kassen die Behandlung eines Herzinfarkts statt Ernährungsberatung oder RaucherInnen-Entwöhnungskurse finanzieren sollen.
Die Hamburger AOK bereitet gar einen Brief an alle Mitglieder vor, in dem zum Widerstand gegen die Leistungseinschränkung aufgerufen wird. „Die Streichung der Prävention hat einen zweifelhaften kurzfristigen Spareffekt“, so AOK-Sprecher Eckhard Voss. Zumal der Anteil der vorbeugenden Leistungen „verschwindend gering“ im Vergleich zu den Gesamtausgaben sei. Sollte das geplante Gesetz in Bonn tatsächlich durchgesetzt werden, könne die AOK als „Gesundheitskasse“ einpacken. Nicht nur die eigenen Krankheitsfolgekosten können die Kassen mit Prävention reduzieren. Die AOK stellte außerdem fest, daß in einzelnen Betrieben der Krankenstand halbiert werden und damit auch in der Wirtschaft und bei den Sozialleistungen erheblich gespart werden konnte.
„Tiefe Einschnitte“ in die Präventionsarbeit befürchtet auch Margrit Schlankhardt, Geschäftsführerin der Hamburgischen Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. Ohne die Mitfinanzierung durch die Kassen könne das Angebot nicht aufrecht erhalten werden. „Das wäre im Sinne einer vernünftigen Geldausgabe“ nicht zu rechtfertigen. Silke Mertins
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen