: Verpaßte Chancen überall
Mit politischem Getöse ins Leere: Ulrich Ziegers neues Stück „Verlagerung der Steppe“ wurde im Theater 89 uraufgeführt ■ Von Gerd Hartmann
Der erkrankte Ex-Feuilletonist stellt den Recorder an. Seine Radiokritik eines Films, der nie einen Verleih fand, quäkt aus den Lautsprechern. Eine Abfolge von Nebensätzen und Einschüben, vorgetragen mit atemloser Monotonie. Und noch ein Attribut und noch eine Querverkettung und noch ein Relativsatz, ohne je auf irgendeinen Punkt zu kommen. Endlos. Die Frau, der das Ganze zur Verdeutlichung der mentalen Malaise des Verfassers vorgespielt wird, trägt's mit Fassung. Und das Publikum auch. Natürlich ist diese kleine Hörszene in Ulrich Ziegers „Verlagerung der Steppe“ ironisch gemeint. Aber ungewollt charakterisiert sie nicht nur den Autor im Stück, sondern auch den Autor des Stückes selbst: Auch Zieger spinnt in endlosen Sätzen endlose Fäden an, die mit politischem Getöse ins Leere laufen. Der 35jährige Autor, einst Mitglied der legendären DDR-Gruppe Zinnober, beschäftigt sich in seinem neuesten Werk mit einem überaus originellen Gegenstand: dem Künstler in der Sinnkrise.
Nachdem er jahrelang vergebens um die Erneuerung des Theaters rang, hat sich der Schriftsteller Walther zurückgezogen: unerreichbar, mit abgeklemmtem Telefon, in einem abgelegenen Haus, ohne Lust, sich weiter zu äußern. Man kennt das. Einer spürt ihn doch auf: „der“, ein Schauspieler, der die Uraufführung von Walthers letztem Stück von dem eben an der neuen Krankheit (klingt nach Aids) verstorbenen Regisseur übernommen hat. Und so monologisieren sie dann, mit- und gegeneinander, Kaskade für Kaskade, über die Steppe drinnen und draußen, über die unerträgliche Schwere des Seins.
Aus dem Nichts tauchen Figuren auf, die wahrscheinlich aus einem der Dramen Walthers stammen. Sie sind in der gleichen Situation wie der Autor. Obiger Radiofeuilletonist ist vor seiner gescheiterten Ehe in einen abgelegenen Kurort geflüchtet. In morbider Thomas-Mann-Atmosphäre trifft er auf eine merkwürdige Zimmerwirtin, die ihn – Zicke und Märchenfee in einem – nicht in ihrem Haus haben will. Außerdem taucht ein neues Objekt der Begierde auf, eine Frau, die neben der Pension in einem Zelt haust. Und natürlich klappt es auch in der absurden Spiegelwelt weder mit der Liebe noch mit einem persönlichen Neuanfang: Verpaßte Chancen überall. Zieger schiebt die realen und imaginären Welten vielfach (und wörtlich) ineinander, überspitzt in die Groteske und läßt am Schluß gar noch Elisabeth Flickenschildt aus dem Sarg auferstehen.
Der verschachtelte Bruch als Prinzip in einer Künstler-Leidensschau – dazu fällt Bernd Weißig, dem Uraufführungsregisseur, gar nichts ein. Eine leere, mit Federn bedeckte Bühne und gewichtige Worte im Stehen, das war's dann auch schon. Figuren? Fehlanzeige. Gestalten im Raum aus Fleisch und Blut? Auch nicht. Irgendwie sollen das schon Menschen sein, diese Text um Text ausspuckenden Wesen. Aber zur Reduktion auf das pure, uneitle Sein auf der Bühne à la Peter Brook (falls das der Ansatz gewesen sein sollte) reicht der Mut nicht – und sind auch die Theater-89-Schauspieler die Falschen. Eberhard Kirchberg (Walther) und Johannes Achtelik („der“), sind vorzügliche Rollengestalter, das haben sie oft genug bewiesen. Doch der Skelettierung des eigenen Ichs stehen sie recht hilflos gegenüber: Immer wieder retten sie sich in aufgesetzte Schauspielergesten. Am besten steht Gabriele Heinz da (im wahrsten Sinne des Wortes), die als schrullige Kurort-Domina gar nicht erst versucht, nicht zu spielen. Unterstrichen wird der Ansatz noch durch eine untergelegte Klangcollage aus Stimmen und Geräuschen (Bert Wrede). Die paßt zu diesem drögen Standbein-Spielbein-Theater wie John Cage als Muzak in einen Minimal-Markt.
Ganz nebenbei zeigt diese ideenfreie Inszenierung auch ein grundsätzliches Dilemma im Theater 89: Mit der Vorstellung neuer und der Wiederentdeckung fast vergessener (Ost-)Autoren hat es sich unbestritten Verdienste erworben. Dem Wagemut bei der Stückewahl steht jedoch fast immer eine erzbiedere Umsetzung gegenüber. Guten Vorlagen mit klaren dramaturgischen Linien, wie den Texte von Oliver Bukowski oder Georg Seidel, schadet die korrekte, aber kleinkarierte Bühnenbearbeitung nicht. Sind die Werke stachliger, geht das allzu sehr aufs reine Schauspielhandwerk konzentrierte Studiobühnen- Konzept nicht mehr auf. Das war beim vermufften Matusche-Revival letztes Jahr im Theater am Halleschen Ufer so, und ist – mit anderen Koordinaten – bei der aktuellen Produktion genauso. Dem vertrackten Ziegerschen Konvolut wäre (wenn überhaupt) nur mit Regieberserkerei beizukommen. Hier ist eine bessere Hörspielfassung ohne Position zu sehen. Die Uraufführung steht also noch aus.
Am 18., 19., 21. und 28. bis 30.5., jeweils um 20.30 Uhr, im Theater 89, Torstr. 216 in Berlin-Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen