Streik mit Breitenwirkung

Die norwegischen Metallarbeiter wollen am Aufschwung des Landes teilhaben. Ihre Arbeitsniederlegung könnte Europas Autofabriken stillegen  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Der Streik der norwegischen MetallarbeiterInnen könnte bereits in der kommenden Woche die Produktion in Autofabriken in Schweden, Belgien und Deutschland empfindlich stören oder ganz zum Erliegen bringen. Hierzulande sind vor allem BMW, aber auch Audi und Porsche betroffen, weil zwei ihrer Unterlieferanten, die Raufoss-Gruppe und Kongbergs Automotive in Norwegen, bestreikt werden. Volvo im belgischen Gent muß wegen ausbleibender Lieferungen nach eigenen Angaben Mitte nächster Woche die Produktionsbänder anhalten. Die schwedische Firma Saab droht gar damit, 3.000 ArbeiterInnen zu entlassen.

Insgesamt waren am vergangenen Montag 36.000 norwegische IndustriearbeiterInnen in 500 Fabriken in den Ausstand getreten. Ein baldiges Streikende ist nicht in Sicht. Keinerlei Kontakte haben zwischen den Tarifparteien stattgefunden, seit am Sonntag ein letzter Vermittlungsversuch gescheitert war.

Es geht um mehr Geld und die Möglichkeit zur Frühpensionierung ab dem 62. Lebensjahr. Bislang muß mindestens bis zum 64. Geburtstag gearbeitet werden. Die Arbeitgeber wollten den Gewerkschaften nur bis zum 63. Lebensjahr entgegenkommen. Konflikt auch beim Lohn: Die Beschäftigten wollen den Abstand des Lohnniveaus zu dem im öffentlichen Dienst nicht noch größer werden lassen. Einen Schlichtungsvorschlag, demzufolge der Stundenlohn nur um 35 Pfennig erhöht werden sollte, lehnten daher bei einer Urabstimmung 54 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder ab.

Die Tarifverhandlungen für die Metallindustrie haben in Norwegen traditionell Vorbildfunktion für andere Branchen. Beim jetzigen Streik geht es daher praktisch um den Geldbeutel aller in der Privatwirtschaft angestellten NorwegerInnen. Die Gewerkschaften meinen in diesem Jahr ein größeres Stück vom Kuchen verlangen zu können. Und alle Wirtschaftszahlen geben ihnen recht. Norwegens Wirtschaft blüht auf einsamem europäischem Spitzenniveau. Der Staat konnte seinen Budgetüberschuß wegen der gestiegenen Ölpreise stetig aufstocken. Dieses Jahr rechnen die FinanzexpertInnen mit einem Plus von 25 Milliarden Kronen (rund 8 Milliarden Mark). Die Arbeitslosenrate wird nach Schätzung der Regierung dieses Jahr auf 4,25 Prozent zurückgehen, das Wirtschaftswachstum dagegen auf rund 4 Prozent steigen – Zahlen, von denen andere europäische Staaten nur träumen können.

Obwohl die öffentlichen Kassen also wohlgefüllt sind, glaubte die Regierung die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 15 auf 23 Prozent erhöhen und von den Kommunen einen höheren Anteil aus deren Steuertopf verlangen zu müssen. Das hat zu erheblichen Verschlechterungen im Gesundheits- und Bildungswesen sowie bei anderen kommunalen Diensten geführt. Zusätzlich böses Blut machten vor einigen Tagen veröffentlichte Zahlen des Statistikamtes, wonach es in den letzten zehn Jahren unter der sozialdemokratischen Regierung von Gro Harlem Brundtland eine kräftige Verschiebung der Einkommensverteilung von unten nach oben gegeben hat: Während die 10 Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen 1986 noch 4,1 Prozent des Totaleinkommens erhielten, ist diese Zahl zehn Jahre später auf 2,9 Prozent gesunken. Die 10 Prozent der „Reichsten“ konnten dagegen ihr Stück vom Kuchen von 20,1 auf 22,4 Prozent vergrößern. Statt 48 Prozent kontrollieren die obersten 10 Prozent jetzt 60 Prozent des Privatvermögens Norwegens.

Kein Wunder, daß die Gewerkschaften meinen, ihre Arbeiterparteiregierung setze falsche Prioritäten, und daher keine gesteigerte Bereitschaft zeigen, sich mit den angebotenen Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent zu begnügen. Lars Berge, Vorsitzender der Arbeitgeberorganisation NHO, wirft den Gewerkschaften vor, „nein zum besten Tarifvertragsvorschlag dieses Jahrhunderts“ gesagt zu haben. Und die Regierung fürchtet, zu große Lohnzuschläge – ein Fehler, den man schon in den siebziger und achtziger Jahren gemacht habe – würden die Konkurrenzkraft der norwegischen Industrie gefährden.

Norwegens Regierung hat die gesetzliche Möglichkeit, Arbeitskämpfe zu verbieten, wenn sie das Allgemeinwohl zu gefährden drohen. Eine Möglichkeit, von der man in der Vergangenheit regelmäßig Gebrauch machte, wenn Streiks die Einnahmen der Staatskasse bedrohten. Beispielsweise ein Streik auf den Ölfeldern. Auch jetzt könnte ein Ausstand Teile der Öl- und Gasförderung stoppen. Daß bald bei BMW und Saab die Fließbänder angehalten werden müssen, würde Oslo allerdings keine Rechtfertigung geben, den Streik zu verbieten.