Knistern in Mülheims schwarz-grünem Gebälk

■ Beim Streit ums knappe Geld geraten sich Grüne und Christdemokraten an der Ruhr in die Haare. Dennoch ist das ungewöhnliche Bündnis noch stabil

Mülheim (taz) – Nein, von Krise mag Hans-Georg Specht nicht sprechen: „Das wäre zuviel gesagt. Im großen und ganzen läuft es zwischen Grünen und Christdemokraten gut“, versichert Mülheims Oberbürgermeister. Trotz aller aktuellen „Aufgeregtheiten“ sieht das Stadtoberhaupt auch für die Zukunft eine „gute Perspektive“ für das seit anderthalb Jahren in Mülheim regierende Bündnis.

Weit skeptischere Töne kommen aus den Reihen der Grünen. „Das kann bis zur Kommunahlwahl 1999 halten“, sagt Peter Holderberg, bis vor vier Wochen Fraktionsgeschäftsführer bei den Bündnisgrünen, „aber die Konflikte werden deutlicher.“ Dafür hat ausgerechnet der von den Grünen und den Christdemokraten gemeinsam ins Amt gewählte Oberstadtdirektor Hans-Ulrich Predeick (CDU) gesorgt. Dessen aus der städtischen Finanznot geborenes Haushaltssicherungskonzept erschien Grünen wie Holderberg als reine „Skandalnummer“, mit der auf ganzer Linie gegen die Koalitionsvereinbarungen verstoßen werde. Hartmut Kremer, der grüne Vorstandssprecher, sprach mit Blick auf die Sparvorschläge des Verwaltungschefs gar von „der Zerschlagung sozialer Strukturen“ in Mülheim.

Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt CDU- Fraktionschef Johannes Brands, der den Grünen beisprang und seinem Parteifreund „irritierende Elemente“ in dem Sparvorschlag vorhielt. Aller Voraussicht nach wird in der nächsten Woche der Haushalt nun doch mit Zustimmung der Grünen verabschiedet. Noch wird zwar um manche Mark gefeilscht, aber die die Grünen am meisten schmerzenden Kürzungen im Sozialbereich sind nach den Worten von Kremer inzwischen „vom Tisch“. Am Sparzwang führt auch in Mülheim kein Weg vorbei. Eine von den SPD-Vorgängern geerbte riesige Schuldenlast von 700 Millionen Mark zwingt zu drastischen Einschnitten. In diesem Jahr kommt ein Defizit von 106 Millionen Mark hinzu. Wenn die Kommune bis zum Jahr 2000 nicht ein strukturelles Defizit von 546 Millionen Mark abbaut, schickt der Regierungspräsident demnächst den Sparkommissar.

Teuer ist in Mülheim vor allem die aufgeblähte Verwaltung. Insgesamt 4.830 Beschäftigte – vom öffentlichen Nahverkehr bis zur Energieversorgung regelt die Stadtverwaltung alles selber – stehen auf der kommunalen Gehaltsliste. Hier wollen die Grünen durch den Abbau von 460 Stellen 90 Millionen Mark einsparen – ohne betriebsbedingte Kündigungen. Predeick hält das grüne Konzept, mittels Teilzeitregelungen, Abfindungen und Vorruhestandsausweitung zum Ziel zu kommen, für „unrealistisch“. Allenfalls 250 Stellen seien so abzubauen.

Trotz aller Schelte über Predeick stimmt die „Chemie“ zwischen den führenden Figuren der beiden Parteien dennoch. Auch Oberbürgermeister Specht, im Hauptberuf Polizeihauptkommissar, genießt das Vertrauen der Alternativen. „Sehr zufrieden“ sind sie mit dessen Amtsführung. Selbst die grüne Vorstandsfrau Silke Voigtmann, einst eine der schärfsten Kritikerinnen von Specht, findet, daß „der sich gut gemacht hat“. Gerade diese Annäherung unterstreicht einen bemerkenswerten Einstellungswandel, denn Specht galt den eher linksgestrickten Mülheimer Grünen immer „als ein Konservativer der ganz harten Sorte“, so Voigtmann.

Daß die großen Vorbehalte verflogen sind, erklärt sich Specht mit Lernprozessen „auf beiden Seiten“. Früher selbst auf sturem Recht-und-Ordnung-Kurs segelnd, sieht sich der Polizist heute mehr auf Seiten jener, die auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel dringen. Daß Mülheimer Jugendliche just in diesen Tagen eine verlassene Fabrik besetzt haben, vermag ihn nicht aufzuregen. Einen Grund zur Räumung sieht er nicht: Er will „zwar einer Aufweichung der Rechtsordnung nicht das Wort reden“, aber auf die „verhältnismäßig geringfügige Störung unserer Rechtsordnung durch die Besetzung“ müsse man nicht unbedingt mit Polizei reagieren.

Solche Töne tun den Grünen gut. Der OB beschreibt das Verhältnis so: „Beide Partner wissen, daß niemand den anderen aufs Kreuz legen will.“ Genau auf diesem Vertrauen fußt das Bündnis. Es war die in Mülheim jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit herrschende SPD, die den schwarz-grünen Pakt wesentlich mitschuf. Unter den „Beton-Sozis“ haben Grüne wie Christdemokraten gleichermaßen gelitten. Daraus, so Ex-Ratsherr Holderberg, entstand eine Art „Notgemeinschaft gegen SPD-Filz und Genossenwillkür“. Auf der „ideologischen Ebene“, das steht für den Altgrünen indes fest, „passen beide Parteien nicht zusammen“. Darauf baut nicht zuletzt die örtliche SPD, deren Führung inzwischen immerhin einräumt, daß die Vorwürfe gegen den Betonkurs „nicht ganz unbegründet“ seien. Auch Christdemokrat Specht weiß, daß „wir bei den großen Themen, wie bei der Kernenergie oder beim Streit um die Abtreibung, zur Zeit nicht zueinander finden“. Aber, so fügt er sogleich hinzu, „wer weiß, wie das in fünf oder zehn Jahren aussieht“.

Verglichen mit den die ganze Republik abschreckenden Streitereien in der rot-grünen Landesregierung, läuft das schwarz-grüne Bündnis in Mülheim geradezu rund. Allerdings standen die harten Themen auch noch nicht auf der Tagesordnung. So ist im Verkehrsbereich im Sinne der Grünen bisher nicht viel geschehen. Aus Mangel an Geld! „Verfügten wir über die nötigen Millionen“, da macht sich Vorstandssprecher Kremer nichts vor, „würden wir uns wohl jeden Tag fetzen.“ Walter Jakobs