■ Scheibengericht
: Todd Snider

„Step Right Up“ (Margaritaville / MCA)

Die amerikanischen Standards also. Wer Regionalismus im Pop als Beschränktheit definiert, muß zwangsläufig auf die Rock'n'Roll Gypsies stoßen, deren Beschränktheit in der realbiographischen wie musikalischen Variantenarmut ihres urbanen Nomadentums liegt. Todd Snider zählt zu dieser Spezies, von der ich annahm, daß sie in Zeiten fortschreitender Zentrenbildung (Hamburg-Seattle-Münster) halbwegs ausgestorben sei. Snider erbringt einmal mehr den Beweis dafür, daß Rock'n'Roll keineswegs reflektieren, sondern allenfalls sortieren muß. Hier Gutes, da Böses, hier Gemeinschaftssinn, da Alkohol, Fernsehen und Kokain.

Progressivität und Aufklärung haben ja schon länger nicht mehr unbedingt miteinander zu tun. Als mentales Oldsmobile tut es der Südstaatler Snider nicht unter den einschlägigen US-Mythen, die er mal dem Bluegrass, mal dem gemeinen Protestsong zuordnet. Straßen, Straßen, Straßen, eine schlechter asphaltiert als die andere. Elmo und Henry, Todd Sniders fiktive Hinterwäldler, befahren sie auf der Suche nach dem American dream. Todd Snider hat seine CD mit einem Wappen verziert, auf dem „Acrobats-Freaks- Musicians“ steht. Und doch kann seine Mythenbeerbung, können seine Reinigungsphantasien so eins zu eins nicht gemeint sein. „Step Right Up“ eröffnet mit einem Glaubensbekenntnis: „I believe in soul / I believe in heaven / I believe in rock'n'roll“ etc. pp. Desweiteren glaubt Snider aber auch an „gangsta rap“, „deep“, „wrestling“, „sleep“, die „Beatles“ – kurzum, er glaubt an alles und er glaubt allen und jedem, den Menschen sowieso, besonders aber – und das ernsthaft – einem „kindly forgiving God“.

Ich bin zwar nicht die laizistische Imaginärinhaberin der Redaktionsstelle Kirche und Welt, aber eins ist auch mir abgefallener Protestantin klar: Jesus nimmt offenbar wieder zu in der Populärkultur. Dabei denke ich weniger an Joan Osbornes süßlich sich anbiederndes „What if God was one of us“, die Nonne Prejean aus „Dead Man Walking“ oder Dolores O'Riordans billige pseudoreligiöse Auftritte, sondern an den fünfzehnjährigen Erfolg der Hooters, die ich einst so toll fand wie John Cougar, als er noch Mellencamp hieß [heißt er doch immer noch; Red. „Kirche und Welt“]. Manche Diskursanten scheuen sich, Leute wie Todd Snider „Individualist“ zu nennen, dabei ist Sniders medienkritischer Pfadfinder-Wertekonservativismus so ehrlich gemeint – und deswegen so unglaublich naiv –, daß er schon wieder die Reinform von Individualismus darstellt. Snider, eigentlich ein Wimp, setzt die Mundharmonika an, verehrt drauflos und schämt sich nicht. „Forever young“, „Lucy Jordan“, all diese Ahnen.

Mainstream kann man diese Abart von Ekklektizismus nicht nennen, dazu fehlt ihr die Eindeutigkeit, und was soll's: Die Welt hat genug Platz für mitteljunge Männer mit großen Zähnen und schlechten Haaren – denken Sie nur an Tom Petty oder Kinky Friedman. Wäre ein Song wie Friedmans „They ain't makin' Jews like Jesus anymore“ im Mainstream möglich? (Jesus!) Ich wage allerdings nicht festzulegen, wovon Todd Snider nun am wenigstens weit entfernt ist: von der vollkommenen Tom-Petty-Werdung? Partieller Dylanisierung? Schleichendem Merle-Haggardismus? Wie würden Sie entscheiden?