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■ Die Medizinischen DiensteGesundheitspolizei

Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) sind mächtig – von Gesetzes wegen. Sie beraten Krankenkassen in Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung; sie überprüfen, ob verordnete Hilfsmittel wie Hörgeräte, Kontaktlinsen oder orthopädische Schuhe erforderlich sind; sie bewerten die Notwendigkeit von Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen. Und sie begutachten Menschen: Ob jemand „erheblich“ oder „schwerst“ pflegebedürftig ist und entsprechende finanzielle Leistungen erhält, entscheidet der MDK.

Einen großen, wie manche MDK-Experten selbst meinen, zu großen Raum nehmen „Begutachtungen bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit“ (AU) ein, 1992 waren es über eine Million. Der Glaubwürdigkeitscheck inklusive medizinischer Untersuchung dauert rund 45 Minuten.

Zwar stellten die leitenden MDK-Ärzte noch 1992 fest, „vermehrte AU-Kontrollen führen eher zu einem Anstieg als zu einem Abbau der Krankenstände“. Doch PolitikerInnen scheinen dies anders zu sehen. Sie haben das Sozialgesetzbuch (SGB) V so reformiert, daß Mißtrauen geradezu provoziert wird. Seit 1995 sind Deutschlands Arbeitgeber nicht mehr verpflichtet, „Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit“ ihres Personals durch konkrete Tatsachen zu begründen. Wenn ein Unternehmen den Kontrollwunsch bei der Krankenkasse geltend macht, muß diese eine „gutachtliche Stellungnahme“ beim Medizinischen Dienst einholen. Von dieser Neuregelung, als finanzieller Ausgleich für die Kosten der Pflegeversicherung gerechtfertigt, machen die Betriebe regen Gebrauch. In Niedersachsen hat sich die Zahl der durch die Arbeitgeber veranlaßten Untersuchungen seit 1995 nahezu verdoppelt, Tendenz steigend.

Daß PolitikerInnen offenbar Zahlen und Tabellen vertrauenswürdiger finden als medizinischen Sachverstand, haben sie im Sozialgesetzbuch unterstrichen. Danach sind Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit insbesondere dann anzunehmen, wenn sie von einem Arzt unterschrieben wurde, „der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist“. Klaus-Peter Görlitzer

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