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Die Ohrfeige holt Erich Priebke ein

Ein Zeuge, den der ehemalige SS-Mann seinerzeit geschlagen hat, erinnert sich gut an das Gesicht. Zum ersten Mal leidet die Verteidigungsstrategie Erich Priebkes, der seit zehn Tagen vor Gericht steht  ■ Aus Rom Werner Raith

Der stets wache, immer noch harte, auf den „Gegner“ fixierte Blick Erich Priebkes bekommt plötzlich, zum ersten Mal, ein leichtes, dann ein starkes Flackern. Hilfesuchend wendet er den Kopf zum Verteidiger, aber nicht ganz und gar, im letzten Moment hält er inne, sucht nur aus dem Augenwinkel zu erfahren, wie dieser reagiert: Vor ihm sitzt, halb dem Gericht und halb ihm zugewandt, der Zeuge Herich Perathoner. Der war 1944 sein Adjutant, als Feldwebel des Bataillons Bozen, das seinerzeit die Erschießung der 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen auszuführen hatte. Und dieser Mann bringt Priebke mit nur zwei Sätzen in große Schwierigkeiten.

Dabei beginnt die Vernehmung Perathoners vor dem für den mittlerweile 83jährigen Priebke zuständigen Militärtribunal in Rom zunächst ganz nach dem Geschmack des ehemaligen SS-Mannes: Der Zeuge weiß zwar noch, daß Priebke die rechte Hand des SS-Standortkommandanten Erich Kappler war, der nach dem Krieg zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, aus dem Militärhospital ausbrach und dann unbehelligt in Deutschland sterben durfte. Der Zeuge weiß auch, daß Priebke wohl „irgendwie“ bei der Auswahl der Geiseln mitgemacht hatte, als der Angriff auf eine deutsch-italienische Polizeieinheit (32 Tote) durch die Füsilierung der zehnfachen Zahl italienischer Zivilisten „gesühnt“ werden sollte: „An Näheres kann ich mich leider nicht erinnern, ich war mit der Sache nicht direkt befaßt.“ Der Militärrichter Agostino Quistelli zieht die Augenbrauen hoch, wirft einen Blick zum Staatsanwalt Antonino Intelisano: Noch so ein Zeuge, wie sie schon reihenweise vorgekommen sind, es ist halt schon so lange her.

Doch dann dreht sich Perathoner ganz dem Gericht zu und sagt mit leiser Stimme: „Im übrigen gab es durchaus Soldaten des Bataillons Bozen, die sich geweigert haben, an der Erschießung der Geiseln teilzunehmen. Sie beriefen sich dabei auf ihren katholischen Glauben.“ Es ist der Moment, wo Priebke, zumindest für einen Augenblick, außer Fassung gerät: ein unerwarteter Punkt für die Anklage. Die freilich bemerkt dies zunächst gar nicht, geht eher darüber hinweg – erst später wird sie darauf zurückkommen. Erstmals wird Priebkes zentraler Verteidigungspunkt schwer erschüttert: Er beruft sich nach wie vor auf einen direkten Führerbefehl und behauptet, die Verweigerung an der Teilnahme bei der Exekution hätte seine eigene Hinrichtung bedeutet.

Priebkes Verteidiger Velio Di Rezze ist von schnellerer Auffassungsgabe als der Staatsanwalt. Nahezu unhörbar zischelt er Priebke etwas zu – er hat bemerkt, daß sein Klient sofort widersprechen möchte, und bedeutet ihm abzuwarten, ob der schon oft blamierte Militärstaatsanwalt die Sache überhaupt erkannt hat. Und so sucht er routinemäßig zunächst die anderen Zeugen zu demontieren: Remo Pellegrino zum Beispiel, der von seiner – zur Aussagenerpressung organisierten – Scheinhinrichtung berichtet, aber eben auch nicht hundertprozentig sagen kann, ob Priebke dabei war oder sie mit angeordnet hatte.

Oder Sergio Volponi, Sohn eines Juristen, der damals hingerichtet wurde: Von seiner Aussage bleibt allenfalls die Erhellung, wie zufällig die Auswahl der Opfer war. Sein Vater wohnte am Eck zur Via Rasella, wo das Attentat geschehen war, und wurde bei der Razzia im Bett angetroffen, halb schläfrig im Pyjama auf den Lastwagen verfrachtet und zur Hinrichtung gekarrt.

Doch der Tag ist insgesamt rabenschwarz für Priebke. Seine Behauptung, er sei von Kappler faktisch nur zur Begleitung der Geiseln und zu ihrer Exekution abgeordnet worden, aber an der Vorbereitung nicht beteiligt gewesen, gerät durch eine eher seltsame Gestalt ins Wanken: ein ehemaliger Lumpensammler namens Mario Cecconi, alt, zerfurcht, mit schweren Ringen unter den Augen. Er bringt einige Belege mit, die der Verteidigung schwer zu schaffen machen werden: ein Dutzend Aquarelle, die er gemalt hat und die Priebke bei einer Aktion zeigen, die so gar nicht zu seiner Verteidigungslinie passen will – bei der Auswahl und Inspektion des Ortes für die Exekution.

Cecconi war an jenen Tagen vor der Exekution zufällig in der Gegend, weil er in der Müllhalde bei den Ardeatinischen Brüchen – wie die Höhlen damals noch hießen – Telefonmasten entdeckt hatte, die er bergen und weiterverkaufen wollte. Am Tag vor der Exekution bemerkte er ein Auto, das vor den Brüchen hielt. Versteckt beobachtete er einen Mann im hellen Trenchcoat und einen Uniformierten der deutschen Wehrmacht – den Fahrer –, die offenbar eine Art Ortsbesichtigung vornahmen: Sie blickten in die Höhlen und stiegen auf den kleinen Hügel dahinter.

Tags danach kehrte der Zeuge mit seinem damals 13jährigen Freund zurück – und geriet mitten in die Exekution hinein. Sah die Kommandos, zwei Reihen hintereinander, „die erste kniend“; die Schüsse hatten sie schon von weitem gehört. Der Mann, der tags zuvor im Trenchcoat gekommen war, trug nun eine SS-Uniform, daneben stand einer, der offenbar ranghöher war.

Priebkes Chancen, sich dieser Aussage etwa unter Hinweis auf die große Entfernung des Augenzeugen vom Tatort zu entziehen, sind diesmal minimal: Cecconi wurde nämlich von einem der beiden Offiziere entdeckt, riß den Arm zum Führergruß hoch und suchte zu entkommen – doch der eine der beiden war schneller, erwischte ihn, gab ihm einige Fußtritte und eine Ohrfeige dazu. Nichts also mit allzu großer Entfernung oder brüchiger Erinnerung. Cecconi hat all das auf seinen Aquarellen festgehalten; die Ohrfeige holt Priebke wieder ein.

Verteidiger De Rezzo versucht sich in Ironie, auch Priebke verzieht die Mundwinkel: „Ein sympathischer Bursche, dieser Lumpensammler“, sagt der Verteidiger; „er erinnert mich irgendwie an unseren Starkomiker Alberto Sordi.“ Zu spät bemerkt er, daß auch das ein Rohrkrepierer ist – keinerlei Ähnlichkeit mit Sordi, stellt auch der Richter fest. Man merkt die Beklemmung der Verteidigung.

Die wird noch deutlicher, als sich kurz vor Ende des Prozeßtages plötzlich starke Unruhe unter den Zuschauern und – draußen – bei den verbliebenen Zeugen ausbreitet. Germano, Sohn eines Opfers der Ardeatinischen Hinrichtungen, ist aus der Piazza Cavour zurückgekehrt. Dort tagt das „Gegentribunal“, wo sich die vom Gericht nicht zugelassenen Hinterbliebenen (nur neun von über siebzig werden aussagen können) versammeln, und hat soeben den angesehenen Publizisten und Kriminalrechercheur Robert Katz („Tod in Rom“) einvernommen. Seine Dokumente sollen nun in den nächsten Tagen auch hier im Gerichtssaal zur Sprache kommen, und derlei wird der Verteidiger nicht mehr mit persönlicher Verunsicherungsstrategie konterkarieren können: Wenn nicht alle Zeichen trügen, hat Katz Belege, wonach Kappler seinem Priebke die Angelegenheit sogar eigenverantwortlich übertragen hatte.

Der zweite Grund zur Aufregung: Neofaschisten unter Führung der Europaabgeordneten Roberta Angelini von der Nationalen Allianz haben an der Stelle der Via Rasella, wo seinerzeit das Partisanenkommando die Polizeieinheit angegriffen hat und wo auch ein dreizehnjähriger Junge umgekommen ist, einen Kranz niedergelegt und geschrieben: „Opfer sind auch diese gewesen.“ Ein Satz, den Germano ein dutzendmal wiederholt und zu dem auch die Zeugen jener Zeit keine rechte Einstellung finden, den aber auch Priebkes Anwalt als „wenig hilfreich“ empfindet: Er hat in diesem Prozeß bereits mehrere Male erfahren, daß der Vorsitzende Richter als gelernter Militär nicht unempfänglich ist für Argumente hinsichtlich der Hektik jener Tage, so daß durchaus ein ansehnliches Maß an „Schuldminderung“ drinstünde, wenn man den Schrecken über das blutige Attentat und den Führerbefehl mit der dann erfolgten Hinrichtung aufrechnete...

Doch der Richter verhärtet seine Haltung sofort, wenn diese Einstellung irgendwie allzu deutlich oder gar wie durch die Kranzniederlegung gefordert wird – dann blafft er die Verteidigung schon mal heftig an. Oder er zeigt durch Entscheidungen, daß er auf keinen Fall in den Geruch allzu großer Nachgiebigkeit dem ehemaligen SS-Mann gegenüber geraten will.

Und so gibt er auch demonstrativ dem erneuten Antrag der Anklage auf Vernehmung des vorher von ihm abgelehnten Zeugen Dietrich Bälitz statt: Der ehemalige Oberst soll von den Telefongesprächen zwischen der römischen Standortkommandantur und dem Führerbunker in Berlin berichten, die er mitbekommen hat und die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ganz klar belegen, daß Kappler und Priebke seinerzeit mit dem Massaker eigenmächtig auch über den schon an sich harten Führerbefehl hinausgegangen sind. Der Mann soll kommende Woche vernommen werden.

Priebke erhebt sich, greift nach seinem hellen Mantel, strafft seine Figur wie stets, wenn er kommt oder geht; doch die Wirkung des Tages bleibt bestehen. Erstmals sucht er den Blickkontakt zu anderen Menschen als den gerade aussagenden Zeugen, dem Gericht oder dem Anwalt; der Versuch, dieses Gesicht, das mit seiner bisherigen Härte und Unberührtheit viele Hinterbliebene und Entkommene bis zum Wutausbruch gereizt hat, dieses Gesicht also mit einem Hauch von menschlicher Freundlichkeit oder gar Werbung um Verständnis zu versehen geht allerdings gründlich schief – die meisten Zuschauer legen es ihm eher als Zynismus aus, wenn er ein leichtes Lächeln aufsetzt.

Sein Anwalt bemerkt es, er schüttelt leicht den Kopf. Da nimmt sich Priebke schnell wieder in die Gewalt, stakst wie auch bisher schon hochaufgerichtet hinaus und zum Wagen, der ihn wieder in seine Zelle bringt.

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