Bong! Bing! Krrrk!

■ Premiere im Theater am Leibnizplatz: „Hotel Transit oder Die Kunst des Stolperns“ – Existentialismus als leichte und unterhaltsame Pantomime

Die Fragestellung ist nicht neu, aber auch nicht veraltet: Wie schnell verabschieden sich unsere erworbenen zivilisatorischen Errungenschaften, wenn wir plötzlich feststellen, eingesperrt zu sein mit einer Gruppe von Fremden? Wie schnell der Mensch dem Menschen zum Wolf werden kann, hat Luis Buñuel schon 1962 in seinem „Würgeengel“ gezeigt. Darin hindert er eine ehrenwerte Tischgesellschaft mit surrealistischen Mitteln am Verlassen des Raumes, , worauf man alsbald grob und gemein zueinander wird.

In Jevgenij Sitochins „Hotel Transit oder Die Kunst des Stolperns“, das der russische Schauspieler und Regisseur als Gast geschrieben und als Gast an der Bremer Shakespeare Company inszeniert hat, kamen die zwei Frauen (Annette Ziellenbach, Katja Hensel) und zwei Männer (Frank Weiland, Christian Aumer) zur Premiere am Sonntag abend hingegen ganz gut klar. Schon der Titel der Pantomime deutet auf eher unernste Behandlung des existentialistischen Stoffes hin. Und nach kurzweiligen und fast wortlosen 80 Minuten war klar, daß etwa ein Jean-Paul Sartre ungläubig gestaunt hätte, was Sitochin da aus seinem ureigenen Thema gemacht hat.

Auf der taghell ausgeleuchteten Bühne ein Stapel Überseekoffer, und die vier Eingeschlossenen, die sich verzweifelt bemühen, die unsichtbare Wand um sie herum nach einer undichten Stelle abzuklopfen. Bong! Bing! Krrrk! Boing! macht es, wenn sie sich pantomimisch übersteigert stoßen und reiben. Die Lautmalerei betreiben die SchauspielerInnen eigenmündig. Lustig. Phantasievoll auch, was Sitochin in den Koffern deponiert hat und uns die Akteure sukzessive enthüllen: von der Kaffeemühle bis zum Krocket-Schläger, vom Gebetsteppich bis zu feldmarschmäßig aufgereihten Klopapierrollen. Und ein Telefonhörer. Dramaturgisch eingesetzt, damit nach einer halben Stunde der erste Satz gesprochen werden kann. „Ich hatte gestern Geburtstag ...“, erinnert sich eine der Namenlosen, nachdem sie ein ominöser Anrufer darauf aufmerksam gemacht hat. Anruf einer metaphysischen Instanz? Das erfahren wir nicht. Doch im Hintergrund kreuzen geheimnisvoll und ein bißchen plump zwei Schneestiefel in Yeti-Format die Bühne.

TheatergängerInnen, die auf Spannungsbögen, Peripetien, den Einbruch einer Katastrophe oder gar einer Botschaft warten, sind im „Hotel Transit“ schlecht aufgehoben. In Jevgenij Sitochins Stück plätschert alles dahin – ein angenehmes Plätschern. Die grotesken Einfälle, statt mit Wortakrobatik mit allerhand Körpereinsatz vorgeführt, werden in so dichter Folge aufs Publikum losgelassen, daß erst nach Schluß Zeit zum Atemholen ist: Hier hat einer aus seinem kreativen Zauberkasten die besten Nummern ausgepackt. Die heißen zum Beispiel: Neid, Egoismus, Rivalität, Abgrenzung. Doch mit den Gefühlen bleiben alle auf dem Teppich: nichts Ernstes ist zwischen den Vieren zu befürchten.

Daß Regisseur Sitochin das Talent besitzt, mit sicherem Auge beobachtete Episödchen an Episödchen zu reihen, ist unverkennbar. Beispiel Posaune. Die in derselben Szene nicht nur als Instrument, sondern auch als Hörrohr und Tränenabflußkanal genutzt wird. Alles eine Frage der Haltung. An den effizient ins Spiel gebrachten Requisiten kann man Spaß haben. Ebenso wie an den schön überzeichneten Figuren: dem clownesken Hans-guck-in-die Luft, der gut aufgeräumten Frau, die sich mit den Insel-Bedingungen schon abgefunden hat und einen Koffer provisorisch zur Regalwand umfunktioniert hat.

Und weil alles so unterhaltsam ist, kann auch die Frage offenbleiben, warum denn plötzlich die undurchdringliche Wand wieder verschwunden ist. Aller Ärger kam wohl daher, daß „wir 25 Minuten zu spät leben, und zwar von rechts gesehen“. So sagt es Kurt Schwitters im Programmheft. Und damit gut. Alexander Musik

Nächste Aufführung: 27.5., 18 Uhr