Gruner+Jahr hat die Berliner Stadtillustrierte „tip“ gekauft. Wird aus dem Magazin jetzt ein Organspender für die blutarme „Berliner Zeitung“?  ■ Von Oliver Gehrs

Irgend etwas läuft falsch im Hause Gruner+Jahr: Erst setzte der Amok-Blattmacher Hans Hermann Tiedje die Info-Illustrierte Tango in den Sand, dann landete der Hamburger Großverlag mit Gala einen veritablen Flop (ca. 260.000 Auflage) und zuletzt verramschte man die Programmzeitschrift TV-Today („der Fernseh- Navigator“) für eine Mark am Kiosk. Selbst die gute alte Brigitte kommt nicht mehr so recht aus dem (Mager-)Quark und gehörte 1995 zu den Anzeigenverlierern des Jahres. Und das Taschengeld der Generation X schöpfen längst die redundanten Lifestyle-Blättchen Fit for fun und Amica vom Verlag Milchstraße ab.

Zwecks Teenspirit nahm G+J vor einiger Zeit Kontakt zum Berliner Technomagazin Frontpage auf. Doch die Übernahme scheiterte am Chaos-Prinzip der Raver. Vor zwei Monaten hat es dann doch noch geklappt mit einer einigermaßen jugendlichen Zeitschrift: Für angeblich 14 Millionen Mark kaufte G+J Deutschlands ältestes und größtes Stadtmagazin, den tip (Auflage: ca. 80.000, Leser: ca. 200.000). Nichts Frisches, aber dafür solide Kiosk-Ware mit einem ansehnlichen Werbeaufkommen und Unmengen von Kontaktanzeigen. Gerüchte, daß G+J jetzt massiv ins Stadtmagazin-Geschäft einsteigt und ähnlich wie Prinz einen bundesweiten Mantelteil nebst regionaler Veranstaltungskalender plant, werden von Martin Stahel, dem Leiter des Zeitungsbereichs bei G+J, dementiert: „Der tip bleibt wie und wo er ist.“

In Berlin also, und dort soll er demnächst einem anderen G+J- Objekt auf die Beine helfen: Der Berliner Zeitung, die die Hamburger kurz nach der Wende kauften. Damals träumte nicht nur der ehemalige Herausgeber Erich Böhme von einer deutschen Washington Post, auch der Tagesspiegel und die Morgenpost wähnten sich schon auf dem Weg zum Hauptstadtorgan. Doch keiner Zeitung gelang es, von der Vereinigung zu profitieren. Nun sollen vor allem locker-flockige Beilagen für Auflage und Anzeigen sorgen: Mit Ticket – einer dünnen Stadtillustrierten – stellt der Tagesspiegel wöchentlich seine Kiez-Credibility unter Beweis, und Springers Morgenpost plant, mit dem Suppelment BMlive junge Leser anzufixen.

Da will die Berliner als größte Tageszeitung nicht außen vor bleiben, und mit dem tip steht ihr nun ein Kompetenzmedium in punkto Großstadtkultur zur Seite, daß vom wöchentlichen Veranstaltungskalender bis hin zum TV-Magazin mannigfach Beilagen zuliefern könnte. Ganz im Sinne des Image-Wechsels, den die neue Leitung der Berliner Zeitung anstrebt. Die Washington Post haben Herausgeber Dieter Schröder und Chefredakteur Michael Meier, der Ende letzten Jahres von der Wiener Presse kam, zwar abgehakt, aber eine Art Süddeutsche Zeitung soll die Berliner schon noch werden.

Zunächst sollen sich die angestrebten Synergieeffekte auf gemeinsame Vertriebswege und ein koordiniertes Kultur-Sponsoring beschränken. Durch eine gemeinsame Akquisition will die Berliner Zeitung kurzfristig am Anzeigenreichtum des „Ikea-Katalogs mit redaktioneller Beilage“ (der Autor Max Goldt über den tip) partizipieren.

„Jetzt mutieren wir zum Organspender der Berliner“, befürchtet ein Mitarbeiter des tip, doch das Gros der Redaktion gibt sich noch ahnungslos bis optimistisch: „Wir bleiben eigenständig“, macht sich der leitende Redakteur Karl Hermann Mut und verordnet vorsichtshalber journalistische Monogamie: „Autorenzwitter wird es nicht geben.“

Daß der tip umgekehrt von der Berliner Zeitung profitiert, ist unwahrscheinlich. Eher schon könnte es die Stammleser verschrecken, wenn der Kneipenverkäufer neben ihrem cineastischen Leib- und Magenblatt noch die betuliche Ost- Tageszeitung im Rucksack hat. „Wir müssen unterscheidbar bleiben“, betont Hermann, doch zumindest inhaltlich scheint man sich schon mal anzupassen: In der neusten Ausgabe wird unter dem Motto „Alle Biergärten dieser Stadt“ in schönster Lokalteil-Manier Berlinische Mollenseeligkeit beschworen.

Zumindest beim Konkurrenz- Magazin zitty hat die neue Allianz bereits für Panik gesorgt. Kaum war durchgesickert, daß Gruner+Jahr den tip kauft, machten eifrige Grafiker die alternative Stadtzeitschrift mit einem neuen Programm-Layout vollends unlesbar. Derart dramatische Änderungen wird es beim tip nicht geben. Die optischen Neuerungen sind eher zaghaft, obwohl die Titelbilder seit Jahren zum trashigsten gehören, was der Berliner Pressemarkt zu bieten hat. „Gruner+Jahr wäre gut beraten, alles beim alten zu belassen“, sagt Karl Hermann, schließlich sei der tip für viele ein Stück Heimat. Die jüngeren Leser hat er angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch kostenlose Magazine wie Flyer oder 030 sowieso schon abgeschrieben: „Wir werden kein Blatt für Raver.“

Bisher hat sich Gruner+Jahr aus dem journalistischen Alltagsgeschäft beim tip herausgehalten. Doch das könnte sich schnell ändern: Mit dem neuen Geschäftsführer Alexander Weinstock kommt am 1. Juli das erste U-Boot von der Elbe an die Spree. Der 30jährige ist ein typisches Eigengewächs aus dem Workshop des Vorstandsvorsitzenden Gerd Schulte- Hillen: Jung, dynamisch, promoviert und ohne jegliche Magazinerfahrung. Die soll er nun beim tip sammeln. Das Motto „learning by doing“ hat bei G+J Tradition: Zuletzt durfte sich Mathias Döpfner als Chefredakteur der Wochenpost austoben. So lange, bis G+J die Mehrheit an dem defizitären Wochenblatt entnervt verkaufte.